Ketil Bjørnstad „Emma oder das Ende der Welt“

„Müßiggang ist der beste Freund der Trauer. Dann macht sie dich fertig.“

Der Roman beginnt bereits mit einer Tragödie, einem schmerzvollen wie unfassbaren Verlust, den Eltern nie erfahren sollten. Emma, die neunjährige Tochter von Aslak Timbereid und seiner Frau Hanne, stirbt nach einem Flugzeugunglück – als einziges Opfer. Zu Beginn von Vorahnungen gequält, sucht der Vater gemeinsam mit der Mutter seines Kindes nach einem Schuldigen des Unglücks. Der neue Roman „Emma oder das Ende der Welt“ des Norwegers Ketil Bjørnstad beschreibt allerdings nicht nur die Tragödie und ihre furchtbaren Folgen. Das Buch gibt einige Einblicke in die literarische Szene des skandinavischen Landes und versammelt zugleich zahlreiche interessante Gedanken von großen Namen. 

Thematische Tiefe

Eine spannende Verbindung, die mich erinnern ließ an die Lektüre des Romans „Das Norman-Areal“ von Bjørnstads Landsmann Jan Kjærstad, dessen Werk ebenfalls seine erstaunliche Tiefe daraus gewinnt, auf weitere Werke oder Literaten zu verweisen. Und auch Bjørnstad stellt Büchermenschen in den Mittelpunkt seines Geschehens: Während Aslak bei einem Verlag als Lektor arbeitet, hat sich seine Frau als Autorin bereits einen Namen gemacht. Beide leben indes getrennt, die Scheidung steht bevor. Aslak zieht die gemeinsame Tochter Emma allein auf. Er lebt in Oslo, sie in Nordnorwegen, wohin schließlich auch Vater und Tochter bei widrigen Wetterverhältnissen gemeinsam reisen und das Unglück geschieht.

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Der Vater schildert als Ich-Erzähler das Geschehen aus seiner Perspektive. Er und seine Frau reagieren ganz unterschiedlich auf diesen schmerzlichen Verlust. Er vergräbt sich in seine Arbeit, protegiert mit Tuva eine junge vielversprechende Autorin, deren kommendes Werk er vor dem Erscheinen begleitet und zu der er sich auch hingezogen fühlt. Hanne hingegen verlässt ihre Mutter und ihre nordnorwegische Heimat, um vorübergehend in Oslo bei ihrem Ex-Mann zu leben. Beide ringen sowohl mit der Trauer als auch mit dem Schmerz ihrer gescheiterten Ehe. Aslak blickt zurück auf den Beginn ihrer Beziehung, die ersten Jahre von Emmas doch so kurzem Leben. Doch dem einstigen Glück folgen dunkle Zeiten und erstes Leid, das die Ehe herausfordert, an dem sie schließlich zerbrechen wird: die Trunksucht von Hannes Mutter, Hannes eigene psychische Erkrankung. Obwohl im Bewusstsein, die Ehe nicht mehr retten zu können, versuchen sie gemeinsam, den Schuldigen des Unglücks auszumachen und sehen in der Pilotin der Maschine ein Ziel für ihre brodelnde Wut.

„Wir sind nichtsahnend dem Tod gegenüber.“

Wenn man über Bjørnstad und eines seiner Bücher schreibt, sollte eines jedoch nicht vergessen werden und unbedingt zu erwähnen sein: Der Norweger ist ein Multitalent. Er gilt als einer der angesehensten Jazz-Pianisten und -komponisten und hat auch in Deutschland seine Fans. Bereits mit 16 Jahren trat er an der Seite des Philharmonischen Orchesters Oslo als Solist auf. Auch die Musik spielt deshalb eine wesentliche Rolle in diesem Roman.  Neben der Literatur hat sie als weiterer gemeinsamer Nenner die Beziehung zwischen Aslak und Hanne vertieft. So wie der Autor große Denker und Schriftsteller wie Friedrich Nietzsche, Knut Hamsun, Thomas Bernhard und Albert Camus in seinem neuesten Roman zitiert, so verweist er auch auf musikalische Werke und ihre Komponisten. Und auch die bildende Kunst erhält ihren Platz.

Mobbing als Thema

Gegenüber dieser Welt der Kultur setzt Bjørnstad indes ein Thema, das man wohl in so einem Buch über Tod, Trauer, Vergänglichkeit sowie über die verschiedenen Strategien, mit der Trauer im Alltag umzugehen, nicht gleich vermuten wird: Emma war trotz ihrer jungen Jahre bereits ein Mobbing-Opfer, das systematisch in der Klasse von einer Mitschülerin und ihren Anhängerinnen ausgegrenzt wurde und darunter sehr gelitten hat. An mehreren Stellen hinterfragt der Ich-Erzähler die Leistungsgesellschaft und ihre Folgen, die bereits den Raum der Schule eingenommen haben; in einem Land, das in der Welt vor allem für sozialen Fortschritt und Lebensqualität bekannt ist. Kritisch geht da Bjørnstad mit seinem Heimatland um, eine Haltung, die beispielsweise auch die Krimis von Jo Nesbø – zuletzt erschien sein Roman „Durst“ – auszeichnet. An einer Stelle heißt es da: „Der Gedanke, den ich immer häufiger denke, dass das, was wir Zivilisation nennen, nur eine hauchdünne Kruste über dem moralischen Chaos ist.“  

Gegenüber den autobiografisch gefärbten Werken von Tomas Espedal und Karl Ove Knausgård, der im Übrigen auch Erwähnung findet, erscheint mir dieser Roman wie ein Gegenentwurf, weil er eine durchweg fiktive Geschichte mit literarischen wie auch musikalischen Verweisen anreichert, die Handlung mit einer weiteren tragenden Ebene eng verknüpft. Trotz einer drohenden Eskalation, die dem Buch Spannung verleiht, stimmt das Ende des sehr ergreifenden, vielschichtigen und menschlichen Romans versöhnlich. Wer Bücher mag, in denen der Fokus vor allem auf der Psychologie der Figuren liegt und sich auch nicht scheut, sich mit dem dunklen Thema Tod und Trauer auseinanderzusetzen, wird „Emma oder das Ende der Welt“ sehr gern lesen und den Roman als Bereicherung empfinden.

Weitere Besprechungen gibt es auf den Blogs „Leseschatz“ und „Peter liest“.


Ketil Bjørnstad: „Emma oder das Ende der Welt“, erschienen im Osburg Verlag, in der Übersetzung aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs und Kerstin Reimers; 300 Seiten, 20 Euro

Foto: pixabay 

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