Selbst Fiktionen können nützlich sein – Ein Interview mit Martin Zähringer

Vom 4. bis zum 6. Dezember 2020 findet erstmals das internationale Climate Fiction Festival statt. Neben zahlreichen Präsenzveranstaltungen im Literaturhaus Berlin – unter Einhaltung der geltenden Hygienevorschriften – wird es ein umfassendes digitales Angebot mit Panels aus London, Istanbul, Kopenhagen und Zürich geben. Mit Programmleiter Martin Zähringer sprach Zeichen & Zeiten über das Festival und das Thema Klima und Klimawandel in der Literatur. 

Wie ist die Idee zum ersten Climate Fiction Festival entstanden?
Martin Zähringer: Die Idee ist entstanden, nachdem ich mit meiner Partnerin und Co-Autorin Jane Tversted  eine Reise durch die USA gemacht hatte, bei der wir für WDR und DLF ein Hörspiel  recherchiert hatten mit dem Titel „Climate Fiction“. Unsere WDR-Redakteurin Leslie Rosin hatte damals einen guten Riecher, als das Thema in Deutschland noch nicht so en vogue war. Dieses Hörspiel war ein ziemlicher Erfolg und da dachten wir, jetzt nehmen wir das Thema mal richtig ernst.

Martin Zähringer +++ Foto: Jan Michalko

Wie sind Sie persönlich zu diesem Thema gekommen?
Ich selbst hatte schon seit einigen Jahren über ökologische oder umweltbezogene Themen und Ansätze in der Literatur geschrieben. In der Neuen Zürcher Zeitung erschien ein längerer Artikel über Climate Fiction (Cli-Fi) von mir, nachdem ich in einer einzigen Saison mehrere deutsche Übersetzungen aus dieser neuen Literaturströmung entdeckt hatte. Aber in den deutschen Verlagen und Feuilletons war von Cli-Fi eigentlich nicht die Rede, das fand ich merkwürdig und dann habe ich etwas recherchiert und publiziert dazu.

Wer waren die Initiatoren des Climate Fiction Festivals?
Das war das CLIMATE CULTURES network berlin, und da sind wir wieder: Jane, ich und etwas später die Literaturkritikerin Sieglinde Geisel. Wir bildeten 2019 den Kern. Wir hatten Sieglinde bei einem Technik-Workshop beim DLF Kultur kennengelernt, da ging es um die richtigen Mikros fürs professionelle Radiomachen. Beim Lunch haben wir dann festgestellt, dass das Thema Klima in der Literatur fehlt, jedenfalls im Gespräch über Literatur, wo wir ja als Kritiker tätig sind. Da kam dann ernsthaft die Idee zu einem Festival, wir haben mit vielen Leuten gesprochen, es sind weitere Mitstreiter zum CCnetwork dazu gekommen und unser Antrag zur Förderung eines internationalen Themenfestivals hat dann auf Anhieb die Jury der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa überzeugt: Sie fördern uns mit 85.000 Euro, weitere rund 20.000 Euro kamen von Pro Helvetia aus der Schweiz sowie Statens Kunstfond aus Dänemark und ein Teil vom Literaturhaus Berlin, in dem das Festival stattfindet.

Wen möchtet Ihr erreichen?
Wir möchten alle Leser und Leserinnen erreichen, die auch mit schwierigen Themen in der Literatur etwas anfangen können und wollen. Denn es ist ein schwieriges Thema, weil es die ganze Welt betrifft. Aber gerade deshalb ist es so wichtig, dass auch die Literatur sich damit auseinandersetzt. Und wir haben nach vielen Lektüren herausgefunden, dass dieses globale Thema Erderwärmung und Klimakrise auf faszinierend vielfältige Weise Eingang in die Literatur gefunden hat. Bei Cli-Fi nimmt man die übliche Trennung von E- und U-Literatur nicht so ernst, Qualität aber schon.

Welche Höhepunkte oder besondere Formate wird es geben?
Als Programmacher fällt es mir persönlich schwer, von Höhepunkten zu sprechen. Ich kann ja in diesem Garten nicht nur die schönste Blume pflegen. Jede Pflanze oder Art muss individuell gepflegt werden. Aber die Autoren und Autorinnen auf unserem Festival sind vielleicht schon eine Art literarische Pflanzengesellschaft, um es mal ökologisch zu sagen – irgendwie hängen sie alle zusammen, und diese Zusammenhänge machen für mich den größten Reiz aus.

Was das Format betrifft, so findet sich alles, was man kennt – etwa eine Kritikerrunde, Einzelgespräche mit Moderator*innen, eine ganz tolle Performance am Freitag, extra für uns kreiert von dem Dichter Mikael Vogel und der Soundkünstlerin Jana Irmert, mehrere internationale Panels, die das Team vom Literaturhaus sehr aufwendig vorab aufgezeichnet hat, weil die internationalen Gäste ja leider, leider nicht reisen dürfen. Besten Dank an das Team des Literaturhauses Berlin an dieser Stelle, das die gesamte technische Umsetzung und Gestaltung verantwortet.

Bei der ersten Ausgabe wird es sicher nicht bleiben, was kommt noch?
Wir haben vor, die Beziehungen zwischen Klimawissenschaft, Medien, Aktivismus und Politik sowie natürlich Kunst und Literatur noch deutlicher herauszuarbeiten. Wir planen ein großes Festival mit wirklich globaler Aufstellung über Klimakrise und Klimakulturen mit einem eigenen Filmprogramm, das die Grönland-Dänin Ivalo Frank von Greenland Eyes kuratiert. Der Antrag läuft. Wir bekommen demnächst Bescheid und sind total gespannt. Und sonst bieten wir als CCnetwork auch anderen Interessenten kleinere von uns kuratierte und moderierte Formate an, Abende mit Cli-Fi-Autor*innen oder anderen, dazu Film oder Sound, irgendwie kreative Mischungen, die ein wenig vom Üblichen abweichen, so auch Texte und multimediale Formate.

Ist das Thema Klima und Klimawandel bereits in der Literatur angekommen? Wird es überhaupt als solches wahrgenommen?
Auf jeden Fall, wobei es bei uns noch ein wenig der kritischen Einordnung bedarf, aber wir arbeiten daran. In der anglophonen Welt von den USA über Großbritannien bis nach Indien oder Australien gibt es schon seit einiger Zeit Seminare zu Climate Fiction, Anthologien, Webseiten wie www.cli-fi.net von Dan Bloom oder Burning Worlds von Amy Brady, die auch als Gast auf unserem Festival ist. Aber ein internationales Festival nur zum Thema Climate Fiction findet tatsächlich erstmals in Berlin statt, wir sind extrem stolz darauf.

Das Festival ist sehr international aufgestellt. Gibt es Länder, wo diese Fragen stärker im Fokus stehen als in Deutschland?
Ja, wie oben gesagt. Aber auch in Europa, in Norwegen zum Beispiel, woher ja das berühmte Klimaquartett von Maja Lunde kommt, aber noch etliches mehr, was der Übersetzung harrt. Auch in Dänemark, wir haben dort sehr interessante Autoren und Autorinnen gefunden, oder in der Schweiz, wo Franz Hohler schon seit Jahrzehnten mit seinem „Weltuntergang“ trommelt, und in England schreibt Maggie Gee seit Jahrzehnten Cli-Fi. Da gibt es auch viele andere, die im Thema sind.

Verfügt die Literatur über einen Einfluss, über den womöglich Medien und die Wissenschaft nicht verfügen?
Aber sicher, ich würde sagen es handelt sich um eine Frage der Zeit. Die medial vermittelten Fakten haben eine relativ kurze Laufzeit und das wissenschaftliche Klimawissen ist sehr komplex, das dauert lang, bis man etwas versteht. Das schreckt ab, obwohl es anschaulich schreibende Leute gibt wie John Schellnhuber vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Er wird am Samstag bei uns sein und mit Ilija Trojanow und Maggie Gee diskutieren. Die Fiktionen dagegen vermitteln uns Sachverhalte, Themen und Problemstellungen der Klimakrise in einem kulturellen Modus. Erzählungen, Geschichten, poetische Narrative erzeugen kulturelles Wissen, und das hat eine ganz andere Wirkungszeit. Sowohl auf der kollektiven Ebene als auch individuell, Literatur bleibt. Das Individuum hat beim Lesen die Sache in der Hand, und das ist wichtig bei diesem Thema, dieses Gefühl der Selbständigkeit, es könnte sich übertragen auf den Willen zu umweltpolitischem Handeln.

Gibt es nicht auch Grund zur Befürchtung, dass dieses Thema missbraucht wird, nur um Romane auf die Bestsellerliste zu bringen?
Klar, gibt es, aber da kann man nichts machen. Das ist die Logik des Marktes. Wir können nur versuchen, die Spreu vom Weizen zu trennen, besonders als Literaturkritiker, die sich einmal ein Literaturfestival erlauben. Als Themenfestival wollen wir ja gerade die Kriterien klären.

Was braucht es, um ein gutes Buch über die Klimakrise zu schreiben?
Was ich als ein extrem wichtiges Kriterium entdeckt habe, das ist die persönliche Haltung der Autor*innen. Wenn sie nicht aufrichtig engagiert an dieses Thema gehen, wird es meistens nichts. Ich empfehle unsere einschlägigen Artikel auf der CCnetwork-Webseite, da gibt es beim Menüpunkt Medien eine Sammlung aus dem CCnetwork berlin.

Ist die Öffentlichkeit für den Klimawandel und für notwendige Klimaschutz-Maßnahmen in den letzten Jahren sensibler geworden?
Ich denke schon, ist ja nicht mehr zu übersehen, was auf diesem Globus los ist.

Welche Titel können Sie empfehlen, weil Sie sie gern gelesen haben?
Zum Beispiel die auf meinen Podcasts. Darf ich schließen mit der großen afroamerikanischen Autorin Octavia E. Butler und ihrem Buch „Parable of the Sower“? Das ist ein dystopischer Roman, erzählt durch das Tagebuch einer jungen Frau, die im Chaos nach einer Klimakatastrophe überlebt. Es gibt darin eine Szene, in der sie einer Freundin den Sinn der Bücher erklärt: „…benutze deine Vorstellungskraft, jede Art von Überlebensinformation aus Enzyklopädien, Biografien, alles was dir hilft vom Land zu leben und die deinen zu schützen. Selbst ein paar Erzählungen (fictions) können nützlich sein.“ Das ist so ziemlich genau das, was wir unter „Cli-Fi“ verstehen.

Martin Zähringer, aufgewachsen im Südschwarzwald, Wahlberliner seit den wilden 1980er-Jahren, mehrfacher Berufswechsler vom Hilfsarbeiter zum gelernten Steinmetz und Bildhauer bis zum Magister Artium und schließlich freien Literaturkritiker und Radioautor. Mittlerweile auch als Festivalmacher und Kurator tätig mit einem seiner Arbeitsschwerpunkte, der Climate Fiction. 


Fotos: Markus Spiske auf Unsplash

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