Marte Huke – „Delta“

„Im Gestein ruhen Flussufer, Pulsschläge, Eiszeiten.“

Ohne Wasser gibt es bekanntlich kein Leben auf unserer Erde. Viele Formen kann es dabei annehmen. Wir sehen es in der Natur als Regen und Schnee, als großen Ozean, breiten Fluss oder schmalen Bach. Wasser ist stets in Bewegung. Mit seiner unbändigen Kraft kann es Landschaften in einem kurzen wie sehr langen Zeitraum meist für immer verändern. Die Prosagedichte in dem faszinierenden Debüt „Delta“ der norwegischen Autorin Marte Huke verbinden das Thema Natur und Wasser mit der Welt des Menschen, dessen Bindungen und Gefühlswelt.

Gedanke, Gefühle, Beobachtungen

Es beginnt mit dem Eis und dem Meer, mit einem Gletscher und dem Land. Das Eis schmilzt, das Wasser fließt und bahnt sich unaufhörlich seinen Weg – durch die Landschaft und die dort vorhandenen Elemente, die ebenfalls aufeinanderwirken. Bis schließlich der Mensch und seine Spuren, die er in die Landschaft setzt, erscheinen. Ein Haus steht am Fluss. Dann taucht auch das lyrische Ich auf, das seine Gedanken, Gefühle, Beobachtungen schildert, von einem „Du“ und einem „Wir“ spricht, von den unterschiedlichen Zuständen seiner Beziehung berichtet; stets in Verbindung mit der umgebenden Landschaft, in der sich das lyrische Subjekt körperlich wie geistig verortet, kleinste Veränderungen wahrnimmt.

Die Prosagedichte ohne Reim und Rhythmus und Überschrift fordern ein ganz eigenes, bedachtsames und achtsames Lesetempo ein, das einen Zeit gibt, die geschilderten Landschaften in ihren Bildern, die Beobachtungen und Gedanken des lyrischen Ichs aufzunehmen. Auch der großzügige Satz der Texte, die oft nur wenige Sätze umfassen und allein auf einer Seite stehen, lassen ein Innehalten, gar ein Insichversenken in die Gedichte zu, die sich der Bewegung, den Veränderungen des Raumes sowie der Zeit widmen, die unaufhörlich vergeht und in der das Wasser auf die Geologie eines Ortes Einfluss nimmt, sogar hartes Gestein formt. Themen wie Geschehnisse, die in der Hektik des Alltags kaum Beachtung finden, indes in ruhigeren Zeiten eine intensive Auseinandersetzung überaus lohnen, weil dieser Prozess erden und Demut lehren kann.

„Wir kennen die Gerüche und Klänge. Die Tage kommen in Kapseln aus Stroh.“

„Delta“ ist das bereits im Jahr 2002 veröffentlichte Debüt der Norwegerin, das erst 2019 in deutscher Übertragung im kleinen Berliner Verlag Edition Rugerup erschienen ist. Hier haben bereits mehrere Lyriker des skandinavischen Landes eine verlegerische Heimat gefunden. So unter anderem Kjartan Hatløy, Rolf Jacobsen, Ruth Lillegraven, Øyvind Rimbereid und Olav Hauge, aus dessen Gedicht „Det er den draumen“, 1966 erschienen, das Motto des Gastland-Auftritts Norwegens auf der Frankfurter Buchmesse stammte.

„Die Zeichen wenden sich, erschaffen die Welt, das Rückgrat.“

Marte Huke, 1974 geboren, studierte an der Universität in Bergen Germanistik und Literaturwissenschaft. Sie besuchte Schreibschulen in Bergen sowie Göteborg. Bisher sind fünf Gedichtbände sowie der Roman „Naturhistorie“ von ihr erschienen.  Von 2003 bis 2009 leitete sie das Literaturfestival in Trondheim, wo sie heute lebt und arbeitet, nachdem sie einige Zeit auch in Berlin ansässig war.

Lyrikerin und Lehrbuch prägen Band

In einem Nachwort schreibt sie zur Entstehung ihres Debüts. Beeinflusst wurde sie von Gedichtsammlungen der deutschamerikanischen Lyrikerin Rosmarie Waldrop, Jahrgang 1935, sowie durch das Lehrbuch „Norges landsformer“ („Norwegens Landschaftsformen“) des norwegischen Geografen Just Gsessing (1926 – 2005). Die naturgeografischen Beschreibungen bilden den Rahmen für den Text, schreibt Huke in ihrem Nachwort, in dem sie sich auch mit der Sprache der Wissenschaft auseinandersetzt. Ihr eindrucksvolles Debüt „Delta“ erlaubt ein Kennenlernen mit der Autorin, deren weitere Werke hoffentlich ebenfalls noch übersetzt werden. Und wer ihre Texte in ihrer so schönen Muttersprache hören will, dem sei die Seite „Lyrikline“ ans Herz gelegt.


Marte Huke: „Delta“, erschienen in der Edition Rugerup, übersetzt aus dem Norwegischen von Betty Wahl und Uwe Englert; 80 Seiten, 16,90 Euro

Foto von Cristofer Jeschke auf Unsplash

3 Kommentare zu „Marte Huke – „Delta“

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