Attica Locke – „Heaven, My Home“

„Hopetown ist eine Erinnerung, eine Fantasie von etwas, das längst verschwunden ist.“ 

Nie waren die USA so gespalten wie in den vier Jahren, als Donald Trump Präsident des Landes war. Der tiefe Riss durch die Bevölkerung, die Unruhen und die gewalttätigen Konflikte zwischen Weißen und Schwarzen sowie die Diskriminierung Andersfarbiger haben zuletzt immer wieder die Nachrichten und politischen Diskussionen, zuletzt sogar die Vereidigung des aktuellen Präsidenten Joe Biden bestimmt. Der meisterhafte Roman „Heaven, My Home“ der preisgekrönten Schriftstellerin und Drehbuchautorin Attica Locke führt in die Tage, kurz nachdem Trump die Wahl gewonnen hat.

Wiederbegegnung mit Texas Ranger

Nach „Bluebird, Bluebird“ gibt es in dem bereits fünften Roman Lockes zugleich eine Wiederbegegnung mit dem afroamerikanischen Texas Ranger Darren Mathews, der von seinem Chef Wilson nach Marion County entsendet wird. In dem kleinen Ort Hopetown am Ufer des Caddo-Sees, unweit der einst glanzvollen osttexanischen Stadt Jefferson gelegen, ist der neunjährige Levi King plötzlich spurlos verschwunden, nachdem er mit dem Boot seines Großvaters auf das Wasser gefahren ist. Mit seiner Mutter, dessen neuen Partner Gil und seiner Schwester Dana lebt der Junge in einem heruntergekommenen Trailer-Park. Sein Vater Bill zählt zu den führenden Köpfen der Arischen Bruderschaft und verbringt nach einer Verurteilung seine Tage im Gefängnis. Darren soll weitere Beweise gegen Bill und die Bruderschaft, die auch in Drogenhandel und illegale Waffengeschäfte verwickelt ist, für einen kommenden Prozess sammeln, noch bevor die Trump-Regierung in Amt und Würden ist.

In Marion County trifft er auf Polizisten, darunter auch seinen Freund Greg, einen FBI-Agenten, die allzu schnell das Verschwinden des Jungen mit einem Mord in Verbindung bringen wollen. In Verdacht gerät Leroy Page, ein Farbiger. Er besitzt einen Großteil des Landes, auf dem sich die Rassisten um Gil mit ihren Trailern breit gemacht haben.  Page pflegt eine Freundschaft zu seinen indigenen Nachbarn vom Caddo-Stamm. Eine enge Beziehung, die weit in die Vergangenheit reicht und eng verknüpft ist mit dem weitläufigen und nicht ganz ungefährlichen See. Mathews lernt zudem Rosemary King, die vermögende Großmutter Levis, kennen, die in einem Herrenhaus residiert und wie viele andere Einwohner auch gegenüber dem Texas Ranger keinen Hehl aus ihrem Hass auf Afroamerikaner macht und in dubiose Immobilien-Geschäfte verwickelt ist, mit denen die Region wieder zu alter Blüte geführt werden soll.

„Hatte seit den Wahlen irgendetwas seinen Zynismus widerlegt? Vielleicht mussten die Regeln tatsächlich geändert werden. Vielleicht war Gerechtigkeit  genauso wenig ein starres Konzept wie die Liebe, und Dichter und Blues-Musiker kannten die Regeln besser als alle anderen.“

Mit Darren hat Locke eine sehr vielschichtige Figur entworfen, die vor allem von ihrer Vergangenheit gezeichnet ist. Nachdem sein Vater in Vietnam gefallen war, stand er unter dem Einfluss seiner beiden Onkel Clayton und William, der eine Jurist, der andere Texas Ranger, in dessen Spuren Darren letztlich wandelt. Zu seiner Mutter, mit der er in ein Verbrechen verwickelt ist, hat er ein schwieriges Verhältnis, das ihn sehr belastet. Darüber hinaus ist seine Ehe mit Lisa angespannt.

Locke beschreibt atmosphärisch und bildhaft die Schauplätze, eine Region im Süden Texas, die landschaftlich vom Caddo-See, politisch wie gesellschaftlich noch immer von der Vergangenheit – Texas zählte im Bürgerkrieg zu den Konföderierten – beeinflusst wird. Der Leser lernt viel über die Geschichte dieser Gegend, in der ganze Generationen noch immer geprägt sind von Vorurteilen und Hass, in der nach dem Sieg Trumps die Stimmung zunehmend aufgeheizt ist. In ihrer Danksagung lässt die Autorin wissen, dass ihre Wurzeln in Osttexas liegen und ihre eigene Familienhistorie in ihren Roman eingeflossen ist. Diese enge vertraute Beziehung zu dieser Region ist ihrem Buch deutlich anzumerken.

Spannend, sprachlich herausragend

„Heaven, My Home“ beweist vor allem, dass ein großartiger weil auch spannender Kriminalroman nicht blutig sein muss, sondern vielmehr klug konstruiert ist und über ein stimmiges Figuren-Ensemble verfügt. Darüber hinaus überzeugt dieser vor allem politische Roman auch sprachlich. Locke gelingen eindrucksvolle Beschreibungen der Landschaften, der Szenen und des Innenlebens des Helden sowie lebendige, pointierte Dialoge. Die US-Amerikanerin erhielt für ihren vierten Roman „Bluebird, Bluebird“ den renommierten Edgar Alan Poe Award, den Ian Fleming Steel Dagger sowie den Anthony Award. Zahlreiche Medien, darunter die New York Times, die Washington Post und die Financial Times, kürten ihr Buch nach dessen Erscheinen zu einem der besten.

Der Titel von „Heaven, My Home“ verweist auf den Gospelsong „I make heaven my home, I shall not be moved“, der zum ersten Mal 1929 von den beiden Blues-Musikern Blind Roosevelt Graves und Charles Patton aufgenommen, später von Mississippi John Hurt interpretiert wurde. Die Musik spielt eine nicht unerhebliche Rolle in diesem Roman, mit dem sich Blues-Fans eine interessante Playlist zusammenstellen können. Überaus wünschenswert wäre es, wenn Lockes frühere Werke, so auch ihr Debüt „Black Water Rising“ (2009), nach und nach in deutscher Übersetzung erscheinen würden.

Eine weitere Besprechung gibt es bei Birgit Böllinger.


Attica Locke: „Heaven, My Home“, erschienen im Polar Verlag, in der Übersetzung aus dem Amerikanischen von Susanna Mende, herausgegeben von Wolfgang Franßen, mit einem Nachwort von Sonja Hartl; 322 Seiten, 22 Euro

Bild von Peter H auf Pixabay

10 Kommentare zu „Attica Locke – „Heaven, My Home“

  1. Klasse, dass Attica Locke auch bei Dir hier eine – und dann noch so ausführliche und toll geschriebene – Würdigung (hätte ich es nicht schon, täte ich es jetzt kaufen :-) ) erfährt. Gestern sind bei meinen Bloggerfreunden/innen insgesamt ganz viele klasse Titel besprochen worden. Und viele davon vor allem aus den kleineren Verlagen. Da die derzeit ganz besonders zu kämpfen haben, freut mich das ungemein.

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    1. Ja, dieses Buch hat diese Würdigung verdient, und ich hoffe, es wird von vielen gelesen und gemocht. Ich finde es überaus wichtig, die Titel kleiner Verlage vorzustellen. Es gibt dort so viele tolle Bücher, die unbedingt mehr Aufmerksamkeit verdienen. Viele Grüße

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