Damon Galgut – „Das Versprechen“

„Auch viele Lebende sind bloße Schatten ohne Ziel (…).“ 

Am ersten Tag nach Rachels Tod findet die Familie sich ein. Anton reist aus der Kaserne an, seine jüngere Schwester Amor wird aus dem Internat abgeholt. Sie treffen auf ihren Vater, ihre Schwester Astrid, Tante wie Onkel. Nach der Beerdigung zerstreuen sich die Swarts jedoch wieder in alle Himmelsrichtungen. Ohne zu ahnen, dass sie sich als Familie erst wieder in neun Jahre wiedersehen. Zeit, in der der letzte Wunsch Rachels und das Versprechen ihres Mann sich nicht erfüllen wird. Ein Versprechen, das wie ein Katalysator die Spannungen in der Familie befeuert, ein Versprechen, in dem sich die Beziehung zwischen Weißen und Schwarzen in Südafrika ablesen lässt  – und nach dem Damon Galgut letztlich seinen preisgekrönten Roman benannt hat.

Ver- und Zerfall einer weißen Familie

Die Swarts zählen zu den vermögenden weißen Familien. Ihr Zuhause ist eine Farm vor den Toren Pretorias. Hermann „Mannie“ Albertus Swart verdient sein Geld mit einem gut gehenden Reptilienpark. Zu ihren Angestellten gehört auch das farbige Dienstmädchen Salome, die mit ihrem Sohn Lukas auf der Farm im Lambord-Haus wohnt. Rachels letzter Wille war es, dass sie dieses Haus sowie das Land, auf dem das Gebäude steht, erhält. Doch die Jahre vergehen, ohne dass Salome Hausbesitzerin wird. Die Geschwister Astrid, Anton und Amor treffen sich erst wieder, als Hermann nach einem tragischen Schlangenbiss stirbt. Astrid ist mittlerweile verheiratet und Mutter, Anton war nach seiner Fahnenflucht untergetaucht und wurschtelt sich durchs Leben, Amor hat ihre Heimat verlassen.

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Es werden fortan immer die Beerdigungen sein, zu denen sich die Swarts zusammenfinden. Stets in einem Abstand von neun Jahren, der auf den ersten Blick konstruiert erscheinen mag – oder auch wie ein Fluch. Denn die Familie reduziert sich merklich. Mal wird es ein Verbrechen, mal Selbstmord die Ursache sein. Und immer tiefer ziehen sich die Gräben zwischen den Familienmitglieder, die sich aus den Augen verlieren, immer verfallener wirkt die Farm, auf dem nach dem tragischen Tod Mannies Anton das Sagen hat, der mit seiner Frau das Erbe verprasst, der trinkt und spielt, erfolglos an einen Roman schreibt. Auch der einst erfolgreiche Reptilien-Park geht den Bach runter und wird zwangsversteigert. „Das Versprechen“ erzählt nicht nur die Geschichte einer Familie, sondern auch die des Landes Südafrika, in der zu Beginn Ende der 80er-Jahre noch Apartheid herrscht.  Neun Jahre später ist Nelson Mandela Präsident, gegen Ende des Romans erlebt der Leser den Rücktritt Jacob Zumas.

Das Ende der Apartheid-Gesetze bedeutet jedoch nicht, dass jegliche Unterdrückung und Ungleichbehandlung der schwarzen Bevölkerung Geschichte ist. Sie zeigt sich vielmehr im Privaten, im Alltag, in den Familien; wenn Antons Frau das Dienstmädchen demütigt oder dessen Sohn Lukas nie die Chance auf einen sozialen Aufstieg erhält, er vielmehr als Farmarbeiter Mannies Grab ausschaufelt. Das Gefühl, wirklich eine Gemeinschaft zu sein, ist von kurzer Dauer, Folge eines Sport-Events: der Rugby-WM im eigenen Land. Darüber hinaus werden die Protagonisten des Romans mit den großen Problemen des Landes konfrontiert: Gewalt und Kriminalität, Aids, Armut und Obdachlosigkeit.

„Wie ist es so kompliziert geworden? Früher bedeutete Zuhause nur das eine und nicht diese Vielzahl, dieser Sturm von Dingen, die einander bekriegen.“

Das besondere stilistische Kunststück des Romans liegt in seinen teils plötzlichen Perspektivwechseln, die tiefe Einblicke in die Gedankenwelt und Mentalität der Figuren ermöglichen. Hinzu kommt eine Erzählstimme, die manchmal die Protagonisten anspricht, manchmal sich an den Leser richtet. Neben den Hauptfiguren lässt Galgut auch eine Reihe interessanter Nebenfiguren auftreten, wie beispielsweise einen Obdachlosen, der einst angesehen, mit Job und Familie, nun auf wenigen Quadratmetern Pappe nahe der Kirche schläft. Allgemein spielt die Religion eine gewichtige Rolle. Nicht nur wird jede Beerdigung in einer anderen Form – von jüdisch über niederländisch-reformiert bis katholisch – ausgerichtet. An ihren Würdenträgern lässt Galgut kein gutes Haar. Der eine Pfarrer ist geldgierig und hat Blutschande betrieben, der andere hält sich nicht an das Beichtgeheimnis. Verstärkt sich mit dem Verlauf des Romans der ironische Ton, sind die Beschreibungen der Kirche als Institution und ihrer höchsten Vertreter oft nur beißender Zynismus.

Nur eine Sympathieträgerin

Die Suche nach einem sympathischen Helden führt unweigerlich zu Amor, die als einzige einen Charakter und Herz beweist. Sie ist es, die immer wieder die Familie an das Versprechen erinnert und gar mahnt, von dieser dadurch auch als wunderlich und befremdlich wahrgenommen wird. An dem hohen finanziellen Erbe zeigt sie selbst kein Interesse, sie hat als einzige einen Job und arbeitet nach ihrer Rückkehr nach Südafrika als Krankenschwester, viele Jahre davon auf einer HIV-Station, wo sie dem Tod alltäglich begegnet. Ihr Leben ist ruhelos, sie lebt in verschiedenen Städten, hat mehrere Beziehungen, eine längere mit einer Frau. Der Abschied Amors und Salomes im letzten Abschnitt des Buches ist wohl die einzige wirklich berührende Szene des Romans.

Für „Das Versprechen“ erhielt der südafrikanische Schriftsteller im vergangenen Jahr den renommierten Booker Prize und damit den höchsten britischen Literaturpreis verliehen, für den er bereits mehrfach nominiert war. Der Luchterhand Verlag zog die deutsche Übertragung um ein gutes Jahr vor; sie war erst für den Herbst 2022 vorgesehen. Galgut, 1963 in Pretoria geboren, zählt zu den namhaftesten Autoren seines Landes.  Wie seine Heldin Amor machte er in der Kindheit eine dramatische Erfahrung: Während Amor einen Blitzschlag überlebt, gelang es Galgut, den Krebs zu besiegen. Mit seinem neuesten Roman hat er ein meisterhaftes Buch geschrieben, das große Geschichte und viele kleine Geschichten erzählt, das durch sein vielfältiges Figuren-Ensemble besticht und dessen Hauptthema, das Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß, sich nicht nur auf Südafrika beziehen und weit allgemeiner anwenden lässt. Denn Rassismus ist das Gift vieler Gesellschaften.


Damon Galgut: „Das Versprechen“, erschienen im Luchterhand Verlag, in der Übersetzung aus dem südafrikanischem Englisch von Thomas Mohr; 368 Seiten, 24 Euro

Foto: stevepb/pixabay.de

4 Kommentare zu „Damon Galgut – „Das Versprechen“

  1. Das Buch hat mich in vielerlei Hinsicht sehr an Claude Simons „Das Gras“ erinnert. Ich mochte die Rhythmuswechsel, die teilweisen groben Striche, mit denen Situationen nur kurz umrissen werden, das Ineinandergehen der Beurteilungen, die Versuche und kleinen Lichtmomente der einzelnen Figuren, aber auch die Distanznahmen. Auf diese Weise habe ich sehr viele intensive Momente mitgenommen. Ich stimme der Rezension rückhaltlos zu. „Das Versprechen“ gehört für mich zu den Leseereignissen der letzten Zeit schlechthin.

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