Philip Kerr – „Metropolis“

„Heutzutage gibt es sehr viel Hass.“

Berlin, 1928. Auf den Straßen bekämpfen sich Linke und Rechte. In den Bars und Clubs wird hingegen gefeiert, als gäbe es kein Morgen mehr. Alkohol, Drogen und Sex sorgen für den perfekten Rausch. Frauen gehen auf den Strich, um finanziell über die Runden zu kommen. Der Name eines erfolglosen Malers aus Österreich ist als Heilsbringer in aller Munde. In seinem letzten Roman „Metropolis“ führt der schottische Schriftsteller Philip Kerr in die goldenen 20er-Jahre, in denen das kommende Unheil schon angelegt ist, und erzählt darin die Vorgeschichte seines Ermittlers Bernie Gunther und von brutalen Tötungsverbrechen an Prostituierte und Kriegsinvaliden.

serienmörder treibt sein Unwesen

Von der Sitte weg tritt der junge Polizist seinen Dienst bei der Mordkommission an. Die ranghohen Kriminalkommissare Bernhard Weiß und Ernst Gennat holen Gunther ins Team. Ein Serienmörder treibt sein Unwesen. Mehrere Prostituierte werden auf grausame Weise getötet, mit dem Hammer erschlagen und skalpiert. Die Presse spricht von den „Winnetou-Morden“. Wenig später sorgt eine neue Mord-Reihe für Entsetzen: Diesmal werden Kriegsversehrte zu Opfern, der erste Veteran, einst mit dem Eisernen Kreuz dekoriert, wird mit einer Kugel im Kopf aus der Spree gefischt. Die Polizei tappt im Dunkeln. Gunthers Vermutung, dass die Taten in Verbindung stehen, wird von seinen Vorgesetzten nicht wirklich ernst genommen. Eine scheinbar noch geringere Herausforderung im Gegensatz zu einem gefürchteten Gangster, der den Kontakt zu Gunther sucht und auch findet. Denn eines der Opfer ist seine Tochter, und er will Rache.

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Mit „Metropolis“ erzählt Kerr viele Geschichten: die des Helden Bernie Gunther, die seiner Kollegen, sogar an manchen Stellen auch die der Opfer. Eine Stadt und ihre Menschen werden lebendig, die Stimmung dieser Zeit wird spürbar. In dem Babylon Berlin trifft Arm auf Reich, sind die durch den Ersten Weltkrieg geschlagenen Wunden noch immer sichtbar. Die Kriegsversehrten auf ihren fahrbaren „Krüppelkarren“ prägen das Stadtbild. Genau wie die Prostituierten, darunter junge Frauen, die sich mit ihren Billiglohn-Jobs kaum über Wasser halten können. Es ist eine politisch unruhige und unstetige Zeit. Die Regierung wechselt sich in kurzen Abständen ab. Viele rufen nach einem Führer, der für Zucht und Ordnung sorgen und die schwächsten Glieder der Gesellschaft ausmerzen soll. Darüber hinaus macht sich der Judenhass unverfroren breit, sogar in den Reihen der Polizei. Die Einschätzung Gunthers im Vorwort, dass wohl kaum eine „biblische Zerstörung“ und eine „apokalyptische Rache“ kommen könnte, sollte sich als fatales Fehlurteil erweisen, wie wir wissen. Doch nicht nur diese angeheizte Stimmung, die fünf Jahre später zur Machtergreifung Hitlers, jenen erfolglosen Maler aus Österreich, führen soll, sondern auch die politischen Kommentare der Protagonisten stimmen den Leser nachdenklich.

„Aber leider lehrt uns die Geschichte, dass sie nie vorbei ist ist. Nicht heute und garantiert nicht morgen.“

In diesem großartigen weil vielschichtigen Panorama dieser Zeit trifft der Leser auf eine ganze Reihe prominenter Köpfe. Gunther lernt so Thea von Harbou, die Frau des Regisseurs und Schöpfers des Klassikers „Metropolis“ Fritz Lang, sowie den Künstler George Grosz kennen, erwähnt werden Gustav Gründgens und die Comedian Harmonists. Berlin als  angesagte Kultur-Metropole – auch das wird in diesem Roman mehr als deutlich, der eine fiktive Geschichte mit dem Leben und Wirken realer Persönlichkeiten verknüpft, ohne dass dies künstlich und aufgesetzt wirkt.

Einblicke in Polizeiarbeit

Der Roman erfährt dabei dank eines anderen Themas eine inhaltliche Tiefe in ganz anderer Richtung. Erzählt wird ebenso von neuen polizeilichen Ansätzen in der Ermittlungsarbeit. Wie beispielsweise das Hineindenken in das Leben der Opfer und den Ablauf der Tat oder das verdeckte Ermitteln. Gunther gibt sich als Kriegsveteran aus. Nicht nur helfen ihm dabei die eigenen traumatischen Erlebnisse an der Front im Ersten Weltkrieg, um in diese schwierige Rolle zu schlüpfen. Brigitte Möbling, eine Maskenbildnerin am Theater, der er schließlich sehr nah kommen wird, hilft ihm, sich für seine „Auftritte“ auf den Straßen Berlins zu verwandeln. Interessant auch, wie akribisch der Tatort-Fotograf die blutige Szenerie mit seiner Kamera einfängt.

„Die Leute mögen keine neuen Ideen. Besonders in Deutschland. Die Deutschen mögen die alten Ideen. Noch lieber die alten Lügen.“

„Metropolis“ ist der letzte Roman Kerrs. 2018 im Alter von nur 62 Jahren infolge eines Krebsleidens verstorben, erlebte er die Veröffentlichung seines Buches nicht mehr. Vor diesem Prequel erschienen bereits 13 Teile der Reihe rund um den Berliner Ermittler. Band 13 führt in das Jahr 1957, so dass die Reihe fast 30 Jahre umfasst, die 1989 mit „Feuer in Berlin“ ihren Anfang nahm. Für Band 6, „Die Adlon Verschwörung“, gewann der gebürtige Schotte den weltweit höchstdotierten Krimipreis der spanischen Mediengruppe RBA und den renommierten Ellis-Peters-Award. Ein Vorwort seines Landsmannes, des nicht minder bekannten Krimiautors Ian Rankin, steht Kerrs Werk voran. Begleitet wird die deutsche Ausgabe darüber hinaus von wenigen Werken des Malers und Grafikers Otto Dix.

Wer die Gunther-Reihe noch nicht kennt, wie ich, wird wohl nun unweigerlich zu den anderen Teilen greifen, wer mit den Werken indes schon vertraut ist, wird vermutlich eine gewisse Wehmut verspüren, dass mit „Metropolis“ ein unwiderruflicher Schlusspunkt gesetzt wird, wenngleich es ein großartiges Ende ist, das ob seiner Figuren, Themen und Statements, rundum einer spannenden wie lebendigen Story, einen begeistern und lange beschäftigen wird.


Philip Kerr: „Metropolis“, erschienen bei Wunderlich/Rowohlt Verlag, in der Übersetzung aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann; 400 Seiten, 24 Euro

Foto von hoch3media auf Unsplash

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