Harry Mulisch, Cees Nooteboom, Arnon Grunberg, Adriaan van Dis, Judith Herzberg … Die Liste ist lang, die mir Julia van Weijen gibt. Die Namen hat sie per Hand auf einen Zettel geschrieben. Alles Autoren ihres Landes: aus den Niederlanden, die sich gemeinsam mit der Region Flandern auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse als Gastland präsentieren wird.
Von schiedam nach Naumburg
Ich treffe mich mit Julia im Café Curt im Naumburger Steinweg. Sie kommt aus Schiedam nahe Rotterdam und lebt seit knapp zwei Jahren in der Domstadt im Süden Sachsen-Anhalts. Ihr Lebensgefährte Ad van der Kouwe hat 2005 ein Haus in der Naumburger Altstadt entdeckt, es gekauft und liebevoll ausgebaut. Fiel ihr es zu Beginn schwer, nach Deutschland zu gehen, hat sie die Stadt an der Saale mit ihrem bekannten Dom mittlerweile liebgewonnen. „Der Wein, die Villen im Bürgergarten-Viertel, die freundlichen Menschen“, zählt die 62-Jährige strahlend auf, als ich sie frage, was ihr hier so besonders gefällt.
Schließlich kommen wir auf unser wichtigstes Thema zu sprechen: Bücher. Nicht nur, weil die Niederländerin Niederländerin ist und die diesjährige Buchmesse das flache Land an der Nordseeküste zusammen mit der Region Flandern in den Fokus rückt. Julia van Weijen hat viele Jahre als Buchhändlerin gearbeitet.
„Ich habe schon immer viel gelesen, auf Ferienfotos bin ich oft mit einem Buch zu sehen. Ich habe bemerkt, dass es gut für mich ist, eine andere Welt zu erfahren“, sagt sie. Ihre LieblingsautorInnen in ihrer Jugend waren Louis Couperus (1863-1923) und Carry van Bruggen (1881-1932). Die erste Buchhandlung, in der sie in Vlaardingen arbeitete, gehörte der Schwiegermutter ihrer Schwester. In der Abendschule ließ sie sich zur Buchhändlerin ausbilden. Später war sie in verschiedenen Buchhandlungen in Rotterdam, Schiedam und Den Haag tätig, unter anderem auch bei Paagman. „Es herrscht dort eine tolle Atmosphäre. Ich habe dort viel gelernt“, erzählt sie. Einmal im Monat reist sie in die Niederlande, wo sie noch immer Veranstaltungen, so auch Lesungen organisiert.
Doch was macht für sie die Literatur ihres Landes aus, was sind die Themen? In den 60er- und 70er-Jahren sei der Zweite Weltkrieg ein wichtiges Thema gewesen. Auch der orthodoxe, schwärmerische Protestantismus spiele in der Literatur eine wichtige Rolle, so in den Büchern von Jan Wolkers, Maarten ‚t Hart und Franca Treur. Sie mag speziell auch den Humor in den Romanen von Arnon Grunberg. Heute gehe es viel um gesellschaftliche Themen, um Familie und Beziehungen, um Freiheit und Diversität, aber auch um Indonesien, der einstigen niederländischen Kolonie, sagt Julia van Weijen, die der Jury des Jana Beranováprijs, der seit 2019 jährlich an Autorinnen und Autoren verliehen wird, angehört.
Jahre der Vorbereitung
Unter dem Motto „Alles außer flach“ stehen die Niederlande und Flandern als gemeinsames Gastland im Mittelpunkt der diesjährigen Leipziger Buchmesse vom 21. bis 24. März. „Die Buchmesse ist eine wichtige Veranstaltung. Wir werden die Vielfalt der Literatur und den kulturellen Austausch feiern. Unser Ziel ist es, die internationalen Beziehungen zu vertiefen“, sagte Yolande Meisert, Botschaftsrätin für Kultur und Kommunikation, während der Vorstellung des Gastland-Programms in der Niederländischen Botschaft in Berlin.
„Wir werden die Vielfalt der Literatur und den kulturellen Austausch feiern. Unser Ziel ist es, die internationalen Beziehungen zu vertiefen.“
Yolande Meisert, Botschaftsrätin
Seit Jahren wird der Gastland-Auftritt vorbereitet. Schon 2018 fanden dazu erste Gespräche statt. Die Niederlande und Flandern standen bereits auf der Frankfurter Buchmesse 2016 im Fokus. „Wir haben nun eine andere Zeit, und es gibt eine neue Schriftsteller-Generation“, betonte Projektkoordinatorin Mireille Berman. Fünf Kernthemen prägen das Programm: Neue Stimmen und neue Perspektiven, die Kinder- und Jugendliteratur, das Thema Übersetzung, digitale Welten sowie Nachhaltigkeit. „Im Mittelpunkt stehen neue Vermittlungskonzepte und -formate sowie die persönliche Begegnung der Autoren mit dem Lesepublikum“, unterstrich Astrid Böhnisch, Direktorin der Leipziger Buchmesse.
Kuratorinnen des Programms sind die Leipziger Kulturwissenschaftlerin, Autorin und Journalistin Bettina Baltschev sowie die niederländische Literaturkritikerin, Autorin und Moderatorin Margot Dijkgraaf. Die Niederländische Botschaft in Berlin, die Vertretung von Flandern, die Niederländische Stiftung für Literatur sowie Flandern Literature unterstützen im Zuge des Gastland-Auftritts ein vielfältiges Rahmenprogramm in Leipzig und anderen deutschen Städten.
Essayband und Bücher-Podcast
Rund 100 Veranstaltungen sind geplant, 40 Autorinnen und Autoren werden in Leipzig erwartet. Im Rahmen von „Leipzig liest“, Europas größtem Lesefest, treffen AutorInnen aus den Niederlanden und Flandern auf ihre deutschen KollegInnen. Der Bücherpodcast „Kopje koffie“ stellt zahlreiche Neuerscheinungen aus den Niederlanden und Flandern vor. Die Schaubühne Lindenfels wird das städtische Quartier während der Buchmesse. Die feierliche Vergabe des renommierten Else-Otten-Preises für die beste Übersetzung aus dem Niederländischen ins Deutsche wird Teil des Gastland-Auftritts sein. Ein Essayband mit Beiträgen von 29 NiederlandistInnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz erscheint Anfang März (edition amikejo). Die Vielfalt der Texte umfasst Romane, Kinder- und Jugendliteratur, Graphic Novels, Sachbücher, Lyrik sowie wiederentdeckte Klassiker und Werke der neuen Schriftsteller-Generation.
Neben ausgewählten Literaturveranstaltungen werden in der Rubrik „Alles außer Literatur“ auch Programme in den Bereichen Bildende Kunst, Kreativindustrie, Erinnerungskultur, Musik, Theater und Film gefördert. Es finden verschiedene Projekte und Ausstellungen in zahlreichen Museen und Kreativorten statt.
Lebendige literarische Kultur
Die Niederlande und Flandern haben eine lebendige literarische Kultur. In den Niederlanden gibt es rund 4.000 Verlage. Die niederländische und flämische Verlagsbranche sind dabei stark miteinander vernetzt. In den Niederlanden gibt es mehr als 1.000 Buchhandlungen, in den Flandern existieren rund 400. Die Buchhandelsdichte ist damit höher als in Deutschland. Auch Bibliotheken spielen im literarischen Leben eine bedeutende Rolle: In den Niederlanden gab es 2022 rund 1.270 Bibliotheken mit etwa 3,5 Millionen Nutzern. In Flandern sind 1,4 Millionen Menschen Nutzer einer öffentlichen Bibliothek. Zudem bestehen in den Niederlanden und Flandern sehr viele Leseclubs, nach Schätzungen sind es etwas 6.000.
Leipzig und die Buchmesse. Beides wollen auch Julia van Weijen und Ad van der Kouwe, der als Grafiker für ein Rotterdamer Büro arbeitet und unter anderem auch Bücher gestaltet, nicht verpassen. Vermutlich werden sie allerdings auch Titel anderer Länder in Augenschein nehmen, lesen sie beide doch sehr gern auch querbeet – und die Bücher ihres Landes bereits zweisprachig. „Wir holen uns von einem Buch oft zwei Fassungen, das Original und die Übersetzung, um zu vergleichen“, sagt Julia van Weijen.
Fotos: Torsten Biel und João Guimarães auf Unsplash
Liebe Constanze,
das ist ein sehr schöner Artikel, der Lust auf das Gastland der LBM macht.
Ich kann dieses Jahr nicht dort sein, werde aber ein paar passende Bücher lesen. Und darauf kommt es doch eigentlich an, oder?
Liebe Grüße
Silvia
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Vielen Dank, liebe Silvia, für Deinen Kommentar. Es freut mich, dass der Beitrag gefällt. Ja, man kann auch nur die passenden Bücher lesen, sich mit dem Thema beschäftigen, dazu soll ja auch eine Buchmesse anregen. Schade, dass Du es nicht nach Leipzig schaffst. Liebe Grüße
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Für ausführliche und persönlich geprägte Beiträge wie diesen liebe ich Blogs! Das gefällt mir viel besser als die „Dutzendware“ auf Instagram. ;-)
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Vielen Dank für Deine Zeilen, Christoph. Ja, dazu sind Blogs auch da, sie erlauben einen anderen Spielraum. Es freut mich, dass noch immer auch längere Beiträge mit Freude gelesen werden. Und das bestärkt mich, meinen Blog weiter zu führen. Viele Grüße
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Und an Twitter/X hat man ja zuletzt gesehen, wie schnell es mit einer Plattform zu Ende gehen kann – da ist ein Blog doch ein etwas sichererer Hafen.
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