Lucia Jay von Seldeneck & Florian Weiß – „Was eine Kiefer ist“

„Großvater, du hast immer gesagt, wenn man erzählt, dann übersteht man das Schlimmste.“ 

Schon seit Jahren bilden sie ein kreatives Duo: die Autorin Lucia Jay von Seldeneck und der Illustrator Florian Weiß aus Berlin. 2017 erschien ihr gemeinsames Buch „Ich werde über diese Merkwürdigkeit noch etwas drucken lassen“ mit 30 Tiermeldungen aus zwei Jahrtausenden, das 2020 mit dem International Creative Media Award in der Kategorie „Book Design/Buchausstattung“ ausgezeichnet wurde. Es folgten Bände über berühmte und weniger berühmte Berge und Schiffe. Nun entführen sie mit ihrem neuesten Gemeinschaftswerk „Was eine Kiefer ist“ in die faszinierende Welt der Flora – eine großartige Reise durch Zeit und Raum.

Vom Balkon und Bonsai-Liebe

Ich muss zugeben, Pflanzen haben mich in der Schule nie wirklich interessiert. Den Botanik-Teil im Biologie-Unterricht, ich glaube, es war Klasse 6, hätte ich gern geschwänzt. Die Orchideen-Hingabe meiner Mutter und das eifrige Wirken meiner Eltern im Garten habe ich damals auch nicht so richtig nachvollziehen können. Doch Zeiten ändern sich. Nach und nach zog die Pflanzenwelt in mein Zuhause ein, diverse Orchideen stehen auf der Fensterbank, Oleander, Olive und Co. gedeihen auf dem Balkon. Angefangen hat alles mit der zunehmenden Faszination für Bonsais, von der in der titelgebenden Geschichte erzählt wird. Gefolgt von dem abschließenden Porträt des Svalbard Global Seed Vault, des größten Saatgutspeichers der Welt auf Spitzbergen, der 2007 seine Arbeit aufnahm und die Zukunft der Menschheit sichert.

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Speziell diese beiden Kapitel erzählen von der Achtung und der Bewahrung der Natur, doch letztlich schwingt in jeder Geschichte das Faszinierende und damit auch das  Schützenswerte der Pflanzen mit. Einige der vorgestellten Arten sind bereits bedroht und stehen auf der Roten Liste. Viele von ihnen haben besondere Eigenschaften und Fähigkeiten, über die man einfach nur staunen kann und sollte. Sie sind seit Jahrhunderten als Heilpflanze bekannt, Inspiration für Erfindungen oder geben einen wertvollen Rohstoff. Der Wurmfarn gilt als Urpflanze der Welt – Fossilienfunde stammen aus dem frühen Karbon – und existiert bis heute. Torfmoose und Bambus sind als „Klimaschützer“ bekannt, in dem sie Kohlendioxid speichern. 

Mal Heiter, mal Melancholisch 

So verschieden die vorgestellten Arten so unterschiedlich sind in dem Buch auch die Texte und Textformen. Sie erzählen sowohl fiktive Geschichten als auch reale Begebenheiten – manche auf heitere Art, andere nachdenklich stimmend oder melancholisch wie jene zum Leinanbau in der Lausitz und dem Torfmoos, das mit dem  Lied „Wir sind die Moorsoldaten“ verbunden ist, das im Jahr 1933 von Häftlingen des Konzentrationslagers Börgermoor im Emsland geschrieben worden ist.

„Denn dieser Frieden im Inneren, der stellt sich nur ein, wenn er in das Blau eintaucht. Das Blau, es erzählt von fernen Welten, von hohen Bergen und von Geheimnissen des Ozeans. Es bringt einen so vollen Klang mit sich.“ 

Mit seinen 30 Geschichten ist der Band ein wahrer Wissensspeicher, der auch überraschende Fakten und Hintergründe vermittelt. Mit Hilfe der Pfefferminze gelang dem englischen Wissenschaftler und Theologen Joseph Priestley 1771 der Nachweis, dass Pflanzen Sauerstoff produzieren. Tulpen sorgten im 17. Jahrhundert in den Niederlanden zum ersten Börsenkrach. Um den begehrten Samen des in Indonesien beheimateten Muskatnuss-Baumes führten England und die Niederlande Krieg, an dessen Ende ein folgenreicher Tausch stand: England erhielt für die indonesische Insel Run das sumpfige nordamerikanische Insel Manhattan, heute der berühmteste Teil der Welt-Metropole New York. 

Jedes Porträt beinhaltet neben einem Steckbrief, der jeweils wichtige Fakten wie wissenschaftlicher Name, Aussehen, Lebensraum und Status umfasst, eine mehrteilige Illustration, die zum Entdecken und intensiven Betrachten einlädt. Ein erster Text wird von einem zweiten ergänzt, der Hintergrundfakten vermittelt. Der Band wird zudem begleitet von einer Spotify-Liste mit Songs, in denen die erwähnten Pflanzen eine Rolle spielen. 

„Mittags besorge ich kleine Töpfe und Erde im Gartencenter. Ich setze sie vorsichtig ein. Wenn man angefangen hat, sich zu kümmern, dann kann man nicht einfach damit aufhören.“ 

Seit mehreren Jahren benutzt Florian Weiß für seine Arbeiten, die aus unzähligen Punkten besteht, eine Punktiermaschine. Neben Aquarellfarben verwendete er für die Pflanzen-Zeichnungen Naturfarben wie Pflanzensäfte, Gewürze und Erden. Historische Karteikarten haben die Gestaltung des Bandes inspiriert, für die die Berliner Gestaltungsagentur „Studio Wu“ verantwortlich zeichnete. 

Mit „Was eine Kiefer ist“ hält man einen Band in den Händen, der die Liebe zum Geschichtenerzählen mit der Hingabe zur Buchgestaltung auf wundervolle Weise vereint. Ein Buch für die ganze Familie und perfekt als Geschenk geeignet – für Pflanzenfreunde oder auch für all jene, die es noch werden wollen.  


Lucia Jay von Seldeneck & Florian Weiß: „Was eine Kiefer ist. Geschichten aus der botanischen Welt“, erschienen im Verlag Kunstanstifter, 132 Seiten, 30 Euro

Foto von Ian auf Unsplash

 

3 Kommentare zu „Lucia Jay von Seldeneck & Florian Weiß – „Was eine Kiefer ist“

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