Der Eroberer – Hans Fallada "Ein Mann will nach oben"

„Es ist nur, Rieke“, sagte der Junge, „es ist alles so viel, alle diese Häuser, und alles Stein, und keiner weiß von uns …“

Er ist wieder zurück. Gut, er war nie wirklich weg, nur scheinbar abgetaucht. Jetzt füllt er wieder die Regale in den Buchläden und jene der Literaturfreunde. Mit dem Erfolg seines letzten Romans „Jeder stirbt für sich allein“, vor allem auch außerhalb seiner deutschen Heimat, ist Hans Fallada wieder im Gespräch. Der Aufbau-Verlag brachte 2011 jenen letzten Band des im Jahr 1893 als Rudolf Dietzel in Greifswald geborenen Autors in einer ungekürzten Neuerscheinung heraus. Weitere folgten, so auch der Roman „Ein Mann will nach oben“.

Wie in all seinen Werken ist die fiktive Geschichte der falladaschen Helden ein Teil deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts. Erzählt wird in dem erst nach dem Tode Falladas veröffentlichten Roman vom Aufstieg des Waisenjungen Karl Siebrecht. Als 16-Jähriger flieht er aus der ländlichen Provinz, nachdem sein Vater verstorben ist. Sein Ziel: die große Stadt Berlin, die ihn wegen ihrer Unmengen an Häusern und langen Straßen zu Beginn überwältigt. Während der Bahnfahrt trifft er auf Rieke Busch, die ihm hilft, die ersten schwere Wochen und Monate zu überstehen, später auch seine Frau wird. Die Ehe ist indes nur von kurzer Dauer. Denn Karl schiebt in seinem Drang, die „Stadt erobern zu wollen“ und mit einem Fahrgeschäft erfolgreich zu sein, die Menschen, die ihm beigestanden haben, gern zur Seite, vielleicht auch unbewusst ob seines immensen Ehrgeizes. Und der überwindet auch schlechte Zeiten. Denn in all den Jahren wird Karl aufgrund des „unbarmherzigen“ Laufs der Geschichte in seinen ehrgeizigen Plänen regelmäßig zurückgeworfen: Er dient als Soldat im Ersten Weltkrieg und gerät schwer verletzt in französische Kriegsgefangenschaft, später schlägt die Inflation unerbittlich zu. Und obwohl es oft heißt ein Schritt nach vorn und zwei zurück, erfüllt er sich mit den Jahren seinen großen Traum. Aus einem einfachen, schlecht bezahlten Gepäckträger wird ein erfolgreicher und verantwortungsbewusster Unternehmer, der zu Beginn das Gepäck noch mit Pferdekutschen, später schließlich mit Automobilen von den Bahnhöfen der Stadt befördert.


Obwohl Karl eines Tages mit Rieke und seinem besten Freund Kalli Flau bricht und er auch in illegalen Waffenschieber-Geschäften verstrickt wird – gerade mit dieser Gestalt hegt der Leser besondere Sympathie. Karl ist ein toller Kerl, wie er im Buche steht. Er ist ehrlich und fleißig, geht unbekümmert und mit offenen Augen durch die Welt und erkennt deshalb schon als junger Bursche, dass auch Ungerechtigkeit, Arme und Reiche, verschiedene gesellschaftliche Schichten zur Welt dazugehören. Dass selbst Fleißigen nie der Aufstieg gelingt. Er schafft es, weil seine Kraft und Zuversicht ihn nie verlassen, er allerdings auch zur rechten Zeit die richtigen Leute trifft. Rieke zu Beginn, später den Rittmeister von Senden, den Automobilhändler Gollmer, den vermögenden Eich, dessen Tochter Hertha er später heiraten wird.

Diese spannende Geschichte in ihrem Auf und Ab zu lesen, macht Freude und hält einen auch emotional sehr gefangen – aus verschiedenen Gründen heraus. Zum einen schuf Fallada neben Karl eine ganze Reihe charismatischer Helden, allen voran Rieke, die mit ihrer kessen „Berliner Schnauze“ für Schmunzeln sorgt. Eine quirlige Lebendigkeit bekommt das Werk zudem mit den Dialogen, die obwohl ohne Handlungsanweisungen nahezu an den Text eines Bühnenstückes erinnern. Das alles vermischt sich in diesem grandiosen Roman mit dem Ernst der Geschichte. Wie in vielen berühmten Werken der Literatur wird auch hier deutlich, wie die große Geschichte das Leben des kleinen Mannes aus der Bahn werfen kann, wie sie ihn unerbittlich hin- und herschüttelt, eben jenes Auf und Ab der Existenz entstehen lässt. Während in dem Roman „Jeder stirbt für sich allein“ vor allem das Dritte Reich in den Fokus rückt, sind es in dieser rund 20 Jahre umfassenden Geschichte die Jahre rund um den Ersten Weltkrieg, der mit einer überschwänglichen Euphorie beginnt und folgend Menschen, Städte und Staaten in den Abgrund reißt. Wie Fallada das Schicksal der einfachen Leute mit dem Lauf der Historie in seinen Werken verwebt, ist immer wieder ein Geniestreich und große Kunst. Dass Fallada als unvergleichlicher Autor und Chronist deutscher Geschichte nun wieder in Erinnerung gebracht wird, ist ein großes Geschenk – für die ganze Literaturwelt und jeden einzelnen Leser.

„Ein Mann will nach oben“ von Hans Fallada erschien 2011 im Aufbau-Verlag Berlin.
761 Seiten, 12,99 Euro

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