Spurensuche im ewigen Eis – Stephan Orth "Opas Eisberg"

„Es ist ein seltsames Gefühl, wenn man in eine menschenfeindlichen Wildnis reist, weit weg von der Zivilisation, und dann plötzlich der kargste Ort der Welt etwas Vertrautes gewinnt.“

Das besondere Vermächtnis zeigt sich als „unscheinbares Büchlein“. Gezeichnet vom Zahn der Zeit und Aufenthalten in fremden Ländern erzählt es als Tagebuch die Geschichte einer gefährlichen Abenteuerreise. 1912 gehörte der spätere Architekt Roderich Fick, damals nur 25 Jahre alt, der Schweizer Grönland-Expedition unter der Regie des Expeditionsleiters Alfred de Quervain an. 100 Jahre später wandelt dessen Enkel Stephan Orth auf den Spuren seines Großvaters. Der „Spiegel-Online“-Redakteur wagt sich nach einer ersten Tour zur größten Insel der Welt gemeinsam mit einigen Familienmitgliedern wenig später erneut in die Arktis. Sein Plan: die Überquerung des grönländischen Inlandeises von Ost nach West. Seinen „Opa“ hat Orth nie gekannt, der viele Jahre vor seiner Geburt infolge eines Herzinfarkts verstorben war. Obwohl das Grönland-Kapitel aus dem Leben des Vorfahren der Familie wohlbekannt ist, zählten doch Andenken wie Walross-Elfenbein und Kajak-Paddel zu den besonderen Erbstücken, wird erst dieses Tagebuch zum Auslöser der herausfordernden Jubiläums-Tour im Vier-Mann-Team.An der Seite des erfahrenen Grönland-Experten Wilfried Korth plant der Journalist seine Reise. Der Einkauf der richtigen Ausrüstung und die intensive Vorbereitung der Route zählen genauso dazu wie die Trainingsaufenthalte in Tschechien, der Schweiz sowie Norwegen. Begleitet wird Orth von den Lesern des „Spiegel“-Magazins, das online über die Vorbereitungen und die spätere Tour berichtet. Und nicht wenige kommentieren das „amateurhafte Vorgehen“ durchaus kritisch, wie Orth wissen lässt.  Doch der Autor weiß von den großen Herausforderungen, die ihn erwarten werden – nicht nur durch das Tagebuch seines Großvaters. Er recherchierte ausführlich über die damalige Expedition als auch zu den weiteren Entdeckungsreisen in die unwirtlichen Polar-Regionen, die kurz nach der Jahrhundertwende nicht nur Schlagzeilen und Ruhm, sondern auch zahlreiche Opfer brachten. Der Tod des Engländers Robert Falcon Scott und seiner Gefährten ist sicherlich das bekannteste Beispiel. Scott starb während des Wettstreits gegen den Norweger Roald Amundsen, der als erster den Südpol erreicht hatte. Auch sein Großvater wusste damals nicht, ob er von der Expedition zurückkehren würde.

So vermischt Orth, der für seine Arbeiten zweimal mit Columbus-Preis der Vereinigung Deutscher Reise-Journalisten ausgezeichnet wurde, seine Eindrücke und Erfahrungen mit Auszügen des Tagebuchs seines Großvaters sowie den Aufzeichnungen des Expeditionsleiters de Quervain. Hinzu kommen neben Fotos, Faksimiles und Karten interessante Informationen rund um den einstigen „Wettkampf“, die weißen Flecken der Polar-Regionen zu erobern und zu entdecken. Der Journalist erweist sich dabei als sehr genauer Beobachter, der sehr anschaulich und bildhaft von der einzigartigen Landschaft berichtet, sich aber auch kritisch und auch ein wenigwehmütig äußert, wie der Tourismus und der Klimawandel diesen Teil der Arktis in den vergangenen Jahren erobert und die moderne und schnelllebige Zeit die dort lebenden Menschen verändert haben. Wenn er dann über die Strapazen der Tour angesichts der extremen Kälte und des schwierigen Geländes weit weg von modernen Annehmlichkeiten sowie über die Missgeschicke schreibt, wirkt der Autor überaus menschlich. Denn verständlicher Frust macht sich breit, als nicht der Mensch, sondern meist das Material die Grenzen aufzeigt. Doch die Reise lässt Orth wichtige Erfahrungen sammeln: Nicht nur, dass diese bedrohte Gegend mit ihrem herben Kontrast zur bekannten Welt ungeahnte und überwältigende Naturschönheiten bereithält. Während der Tour kommt der Journalist seinem Großvater gedanklich näher, findet auch einige Spuren der damaligen Expedition, macht die Bekanntschaft mit jenem Berg, der den Namen des Großvaters erhalten hat. Doch auch die Schattenseite aus dessen Leben verschweigt Orth nicht: Roderich Fick war während des Dritten Reichs als Reichsbaurat tätig, pflegte berufliche Kontakte zu Adolf Hitler. Ein Kapitel, das sicherlich Stoff bietet für einen weiteres Buch.

Doch dieser spannende Band hält nicht nur lebendige Beschreibungen und interessante Fakten für den Leser bereit. Er wirkt vor allem dann intensiv, wenn die Warmherzigkeit und der herrliche Humor Orths durchschimmern. So staunt und schmunzelt man während der Lektüre und lebt die Abenteuer in den Jahren 1912, 2011 und 2012 intensiv mit. Für Freunde des „weißen Planeten“ sollte das Buch Pflichtlektüre sein, für jene, die sich eher in wärmeren Gefilden wohlfühlen, bietet das Buch einen hervorragenden Kontrast.

Das Buch „Opas Eisberg“ erschien im Piper-Verlag mit Abbildungen, Faksimiles, Fotos und Karten.
288 Seiten, 12,99 Euro

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