Lockruf des Nordens – Simon Michalowicz „Norwegen der Länge nach“

„Alles strahlt in den prächtigsten Rot- und Gelbtönen, die glasklaren Bäche schimmern grünlich blau, und die Sonne strahlt jeden Tag mit mir um die Wette. Es ist eine Gnade, gerade jetzt hier zu sein.“

Wenn Kollegen und Freunde über ihren Urlaub unter Palmen oder an den Stränden des Südens berichten, lässt mich das kalt. Mein Herz schlägt für den Norden, schon seit vielen Jahren. Genauer ist Norwegen zu meiner Seelenheimat geworden. Nicht nur durch zahlreiche Reisen, zuletzt eine Wintertour auf der MS Polarlys der Hurtigruten-Flotte. Vor allem hat mich meine Familie, genauer gesagt meine Großmutter geprägt, die aus Norwegen stammt. Leider habe ich sie nie kennenlernen dürfen, da sie einige Jahre vor meiner Geburt gestorben ist. Aber sie war sicherlich auch der Grund, dass ich nach meinem Abitur zehn Monate als Au-pair auf der kleinen Insel Runde verbrachte. Wenn ich heute Fotos, Filme oder Bücher über das Land sehe oder lese, fühle ich ein gewisses Heimweh. Hjemlengsel nennen es die Norweger. So ist es mir nun auch bei der Lektüre von Simon Michalowicz‘ Reisebericht „Norwegen der Länge nach“ ergangen.

Während viele Wanderer auf dem berühmten Jakobsweg  pilgern, hat sich der Dortmunder eine ganz andere Strecke auserkoren. Doch nicht den schon etwas bekannten St.-Olavs-Weg, der von Oslo nach Trondheim führt. Vom 27. Mai bis zum 12. Oktober 2013 ging der Westfale zu Fuß vom Kap Lindesnes im Süden Norwegens bis zum Nordkap. Bekannt ist diese nahezu legendäre Tour unter dem Namen „Norge lengs“. („Norwegen der Länge nach“). Den rund 3.00 Kilometer langen Weg, der zu einem großen Teil durch das Binnenland entlang der schwedischen Grenze und auch finnischen Grenze führt und zu dem es weder eine vorgegebene Route noch einen Reiseführer gibt, bewältigte er in 140 Tagen. Nahezu allein – trotz Hilfe von außen. So versorgte ihn eine Freundin mit Paketen, die unter anderem mit Lebensmitteln und Karten gefüllt waren.

csm_produkt-11435_8cc29b55aeNeben einer umfangreichen Recherche vorab, unter anderem zu Routen, Unterkünften und der passenden Ausrüstung, war eine fünfwöchige Wandertour in Norwegen ein Jahr zuvor eine Art Bewährungsprobe, die ihn bestärkt hatte, den weiten Weg zu gehen. Denn sein Vorhaben ist kein Zuckerschlecken, kein Sonntagsausflug nach Kaffee und Kuchen. Der damals 31-Jährige, der für die Tour seinen Büro-Job in der IT-Branche an den Nagel gehängt hatte,  kam an seine Grenzen – ohne indes aufzugeben. Nicht nur die oftmals schwierigen Witterungsbedingungen und die Gegebenheiten der Landschaft aus Bergen und Tälern, weiten Ebenen und Sümpfen waren eine extreme Herausforderung. Unterwegs ging ab und an etwas schief: Michalowicz verlor das Zelt, musste manche Wege mehrfach gehen. Und nicht immer erreichte ihn das nötige Paket mit Verpflegung und den wichtigen Karten. Doch letztlich wurde jedes Problem gelöst. Auch wenn der Autor zwischendurch immer mal wieder kräftig geflucht hat, wie er schreibt.

Das macht ihn das ganze Buch hinweg sehr sympathisch. Er geht offen mit seinen Fehlern und Macken um, beschreibt sie ehrlich und oft mit einer großen Portion Humor. Er plauscht, als ob der Leser ein guter Kumpel oder Begleiter wäre, Wenn ihm etwas misslang, vertröstet er sich erst einmal mit Cola, Schokolade und Chips in recht großen Mengen. Trotz dieser ungeheuren, aber auch notwendigen Kalorienzufuhr nahm er mehr als 20 Kilo ab. Doch dieser Gewichtsverlust ist nicht das einzige Ergebnis seiner Tour. Michalowicz machte immer wieder die Bekanntschaft mit besonderen Menschen, die ihm in den schwierigsten Situationen aus der Patsche halfen, die ihm Mut zusprachen und ihm Respekt erwiesen für seine immense Leistung.

„Die Wanderreiterinnen sind zur selben Zeit wie ich gestartet, und nun befinde ich mich inmitten ihrer Karawane. Vor und hinter mir Pferde, schwer beladen mit Gepäck und Reitern. In der Mitte laufe ich alter Packesel und schleppe meine rot-schwarze Schrankwand schwitzend und schnaufend vorwärts – eine filmreife Szene.“

Er wiederum zeigt seine Bewunderung dem großartigen Land und seinen hilfsbereiten und gastfreundlichen Menschen gegenüber, die oft in den entlegensten WInkel  des Landes leben und ihren Alltag meistern. Sein Reisebericht ist deshalb eine wunderbare Liebenserklärung – und auch ein Ratgeber für alle Norwegen-Fans, die vielleicht einmal selbst diesen langen Weg oder dessen Teile bestreiten wollen. Sehr viele Informationen finden sich in den einzelnen Kapiteln: von der Ausstattung der Hütten des norwegischen Tourismusverbandes Den Norske Turistforening sowie Rechte und Pflichte der Nutzer über die Möglichkeiten der Streckenwahl bis hin zur Bedeutung einer guten Tour-Vorbereitung.

Wem das Buch nicht ausreicht, kann den Blog des Autors mit dem Titel „Simon  tur“ besuchen, der bereits während der Wanderung dank eines geführten Tagesbuches regelmäßig gepflegt wurde und der aktuell über die Veröffentlichung dieses Bandes berichtet. Am Ende schlägt man den Band beglückt, zugleich aber auch etwas traurig zu. Denn ein Abenteuer hat seinen Abschluss gefunden, das sowohl dem Autor als auch dem Leser unvergleichliche und unvergessliche Erlebnisse beschert hat. Das Tour-Ende brachte Simon Michalowicz allerdings auch eine nachdenkliche Erkenntnis: Er bekam bereits in Oslo, später auch in Deutschland wegen der Hektik und der vielen Menschen einen Kulturschock.

Der Band „Norwegen der Länge nach. 3000 Kilometer zu Fuß bis zum Nordkap“ von Simon Michalowicz erschien im Piper Verlag, 272 Seiten, mit 67 Abbildungen und einer Karte, 14.99 Euro

Foto: Georges Bott/pixelio.de

4 Kommentare zu „Lockruf des Nordens – Simon Michalowicz „Norwegen der Länge nach“

  1. Das hört sich ja nach einem richtig guten, nach einem ganz besonderen Buch an: Die sicherlich grandiose Landschaft auf der einen Seite und auf der anderen die Verpflichtung, immer weiter gehen zu müssen. Vielen Dank für den Buchtipp.
    Viele Grüße, Claudia

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    1. Ich persönlich zolle seiner Leistung sehr viel Respekt, das ist eine unwahrscheinlich lange Strecke, und er hat sich auch durch Rückschläge nicht entmutigen lassen. Sicherlich half ihm dann auch diese einzigartige landschaftliche Kulisse, die sowohl viele Reize als aber auch Herausforderungen bietet und nicht ohne Gefahren ist. Viele Grüße

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