„Mein einziger Wunsch: schreiben.“
Vor nur wenigen Tagen erschien mit „Kämpfen“ der Abschlussband des autobiografischen Projektes „Min kamp“ des norwegischen Autors Karl Ove Knausgård in deutscher Übersetzung. Dieser einfache wie aussagekräftige Titel wäre auch passend für das jüngste Werk von dessen Kollegen, Landsmann und Freund Tomas Espedal gewesen. „Biografie, Tagebuch, Briefe“ ist ein großartiges literarisches und sehr persönliches Zeugnis über Schmerz und innere Wunden, was einen letztlich am Leben erhält und was es bedeutet.
Vergänglichkeit und Abschied
Wer sich bereits mit Espedals Büchern „Wider die Natur“ und „Wider die Kunst“ vertraut gemacht hat, kennt die tragischen Erlebnisse, die der Norweger darin literarisch verarbeitet: den Tod seiner Mutter und der kurz darauffolgende Tod seiner Frau Agnete. Der zweite Teil des Bandes, betitelt mit Tagebuch (Epitaphe), ist ihr gewidmet. Nicht nur der Moment des Todes und der damit verbundene Verlust wird mehrfach beschrieben. Espedal berichtet in unvergleichlich poetischer Weise von der Vergänglichkeit, dem unumkehrbaren Prozess des Sterbens, der zugleich auch eine Zeit des Abschieds ist. Wer selbst einen ähnlichen Verlust erleiden musste, findet jene Worte, nach denen er vermutlich vergeblich gesucht hat. Man kann dankbar dafür sein, zugleich wird man selbst mit dem eigenen Erleben konfrontiert, was schmerzvoll sein kann. Einer der schönsten Texte ist jener, wo Espedal seiner Frau eine Stimme gibt, sie mit dem Schreiben ein kleines Stück lebendig werden lässt, sie dadurch verewigt wird.
Das Schreiben: Es ist das zweite große Thema dieses Bandes, der aus vielen kleinen, mal größeren Texten besteht. Viele können als kostbare Miniaturen bezeichnet werden. Espedal erzählt von der Bedeutung der Literatur und des Schreibens für sein Leben, seine Existenz, seine Verortung in der ihn umgebenden Welt. Zugleich gibt er Einblicke in den Schaffensprozess seiner Werke, die ihren Anfang handschriftlich in Notizbüchern nehmen. Später wird der Text mit der Schreibmaschine ein zweites Mal auf das Papier gebracht. Der Norweger ist sowohl ein genauer Beobachter seiner Umgebung, der in den kleinen Dingen, die ihn umgeben, immer wieder Inspirationen findet, als auch ein Einsiedler, der sich in einer anderen Wohnung zum Schreiben zurückzieht. Wer die Literatur ebenfalls über alles liebt und ihr einen großen Teil des Lebens widmet, wird hier zahlreiche Zitate für sich entdecken, zugleich auch eine Verbundenheit mit dem Autor verspüren. Namen bekannter Kollegen dürfen nicht fehlen, so Brecht, Proust und Pessoa. Rilkes Gedichte haben ihn Stärke gegeben. Knausgård darf natürlich nicht fehlen. Zitate leiten jeden der drei größeren Abschnitte ein, darunter Passagen aus der Feder des dänischen Dichters Klaus Høeck.
Liebe zum einfachen Leben
Espedals Offenheit und Ehrlichkeit beeindrucken und berühren. Er schreibt über das maßlose Trinken, den körperbetonten Boxsport und Gewalterfahrungen in seiner Jugend und gibt intime Einblicke in seine Liebesbeziehungen, in den Alltag als allein erziehender Vater. Auch das einfache Leben und das Gehen als langsame Fortbewegung, das ihn jedoch vom Schreiben abhält und dem sich bereits sein Band „Gehen, oder die Kunst ein wildes und poetisches Leben zu führen“ widmet, werden thematisiert. Viel ist zu lesen über seine Liebe zum einfachen Leben, das nicht Wert auf einen großen Besitz legt, sondern nur auf wenige kostbare Dinge. Leo Tolstoi und seine Schriften haben ihn geprägt.
„Es gehört nichts dazu, zu reisen, neue Orte zu sehen, schwieriger ist es, jeden Tag dieselbe Strecke zu gehen, dieselben Orte zu sehen, auf eine neue Weise, vielleicht, aber dennoch, die dieselben Straßen, dieselben Häuser, um einen neuen Gedanken zu finden, eine ganz neue Art, derselbe zu sein.“
Viele der Szenen erinnern an Stillleben, Momentaufnahmen. Prosa und Lyrik verschmelzen. Auch mit den Genres Tagebuch, Brief und Biografie, die bestimmte Merkmale aufweisen, experimentiert Espedal. Im Schreiben will er rücksichtslos und frei sein, heißt es an einer Stelle. Mit seinem aktuellen Band, für das man auch Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel würdigen sollte, hat er ein herausragendes Buch geschrieben, das „Best-of-Album“ und Soundtrack des Lebens zugleich ist. Ein Werk, das einen lange Zeit begleitet und sich einprägt.
Auch Marina Büttner stellt auf ihrem Blog „literaturleuchtet“ den Band vor.
Tomas Espedal: „Biografie, Tagebuch, Briefe“, erschienen im Verlag Matthes & Seitz, in der Übersetzung aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel; 347 Seiten, 25 Euro
Foto: pixabay
Der Band liegt hier griffbereit. Noch immer habe ich nicht angefangen zu lesen, als ob ich das Lesen immer weiter hinauszögern wollte, weil sonst das Schöne so schnell vorbei ist.
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Ach, ich kenne das auch. Dass man Bücher, die man unbedingt lesen will, erst einmal zur Seite schiebt, um die Vorfreude auszukosten. Das geht mir gerade mit so einigen, so liegt der neue Auster noch im Regal. Aber Espedal, so meine ich, kann man immer und immer wieder lesen. Viele Grüße nach Berlin
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Klingt gut, war mir bisher noch kein Begriff. Die Norweger scheinen ja einen Hang zur Nabelschau zu haben ;) Hab vor einer Weile „Lieben“ von Knausgard gelesen. Für die restlichen Bände der Reihe brauch ich wohl einfach noch ein bisschen Zeit.
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