Peter Heller – „Der Fluss“

„Was macht man, bevor man die Hölle betritt?“

Ein Dorf der Cree-Indianer an der Hudson Bay ist ihr Ziel. Ihr Weg: der Maskwa River. Jack und Wynn, Studenten und beste Freunde, machen sich mit ihrem Kanu auf dem Weg quer durch die Wildnis im Nordosten Kanadas. Beide sind erfahren, mit einer überschaubaren Ausrüstung und Proviant in der nahezu menschenleeren Natur zu leben und zu überleben. Sie schrecken nicht vor der Einsamkeit und den Risiken zurück. Doch ihre Tour verläuft anders als geplant – denn zwei unheilvolle Begegnungen und ein verheerender Waldbrand sorgen für Lebensgefahr. Der Amerikaner Peter Heller legt mit „Der Fluss“ einen spannenden Roman vor, der vor allem die grandiose Landschaft in den Mittelpunkt rückt.

Unheilvolle Begegnungen

Vermutlich denken viele Leser bei einem Roman, der in der Wildnis des Nordens spielt, an brüllende Grizzly-Bären, eine wütende Elch-Mutter und bitterliche Kälte, vielleicht auch manch einer an eine von Menschen nahezu unberührte und stille Idylle. Und zum Teil haben beide Seiten recht. Denn all dies – außer den erwähnten Bären – werden die beiden Freunde sehen und erleben. Obwohl es August ist, müssen Jack und Wynn den niedrigen Temperaturen trotzen. Zudem erschweren Wind und Nebel die abenteuerliche Tour. Bereits in den ersten Tagen nimmt Jack Brandgeruch sowie Rauch wahr. Zugleich machen sie jene unheilvollen Bekanntschaften, die ihre weitere Reise bestimmen werden: Sie treffen auf zwei Männer, die in ihrem Lager dem Alkohol sehr zugetan sind und den Studenten wenig freundlich begegnen. Wenig später hören beide Freunde, wie sich ein Paar streitet. Daraufhin treffen sie auf einen verwirrten Mann, der vorgibt seine Frau zu suchen. Jack und Wynn finden sie nach einigen Stunden schwer verletzt. Wer ist für ihren lebensbedrohlichen Zustand verantwortlich?

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An dieser Stelle verlasse ich den Fluss der Handlung, um über den weiteren Verlauf nicht allzu viel zu verraten. In das wechselvolle Geschehen und die Erlebnisse der Freunde mischen sich die Erinnerungen beider. Mit Rückblicken wird die Lebensgeschichte der jungen Männer episodenhaft geschildert, die aus verschiedenen Regionen stammen, aber gemeinsam in Dartmouth (New Hampshire) studieren. Den Fokus legt Heller dabei indes auf Jack, der in der Kindheit ein tragisches Ereignis erlebt hat und der ein besonderes Gespür für künftige Ereignisse besitzt. Er fühlt, wenn Gefahren drohen. Er ist auch der robustere von beiden, während Wynn eher der Verstandesmensch ist. Auf diese Weise ergänzen sich beide, wenn auch die Herausforderungen und die Gefahren der Reise zu Konflikten führen. Beide sind Naturburschen, sie lieben das Angeln und die Literatur; so gibt es in dem Roman auch eine ganze Reihe literarischer Verweise – von Joseph Conrad über Robert Frost bis hin zu Dante Alighieri. Das Verhältnis der Freunde zur Natur ist ein sehr enges, von einer Achtung und einem großen Respekt für die Kraft der Natur bestimmt.

„Alle Flussgeschichten, die sie je gelesen hatten, lauerten irgendwo im Hinterkopf, befeuerten ihre Phantasie und setzen eine Extraportion Energie frei, denn die Hälfte dieser Geschichten hatte kein Happy End.“

Hellers Erzählton ist sehr bildhaft und atmosphärisch und erinnert manches Mal an einen alten Mann, der am Lagerfeuer seine fesselnden Abenteuergeschichten berichtet, allerdings zu Beginn noch seine Sprache und seinen Rhythmus finden muss. Doch gerade im weiteren Verlauf und mit Blick auf die grandiose Landschaft sowie die reiche Flora und Fauna wird sein Roman zu einem wunderbaren Leseerlebnis, nur noch gesteigert durch die eindrucksvollen Beschreibungen des riesigen Waldbrandes und dessen gewaltige Ausmaße und furchtbaren Folgen. Man riecht das verbrannte Holz, hört das Knacken und Knistern sowie das unheilvolle Rauschen und Dröhnen, das durch ein Mammutfeuer erzeugt wird – als ob es ein riesiges atmendes bewegliches Wesen ist.

Das Zerstörerische

Heller, 1959 in New York geboren, als Journalist tätig und für seine Romane und Sachbücher mehrfach geehrt, zeigt die unterschiedlichen Seiten von Mensch und Natur auf. In beiden liegt zwar das Zerstörerische, doch der Mensch vernichtet Leben ganz bewusst und gezielt und zeigt eine heimtückische Ader. Das ist wohl die Lehre, die dieser Roman verdeutlicht. Am Ende gibt es auch in jener Fluss-Geschichte kein Happy End. Fast hadert man mit der Entscheidung des Autors, seine beiden Helden ein furchtbar tragischen Abschluss erleben zu lassen. Doch letztlich liegt darin auch der Grund, warum dieses Buch neben seiner Sprache und Spannung so überaus intensiv auf den Leser wirkt.


Peter Heller: „Der Fluss“, erschienen im Verlag Nagel & Kimche, in der Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Matthias Strobel; 272 Seiten, 22 Euro

Foto: James Wheeler from Pixabay

 

5 Kommentare zu „Peter Heller – „Der Fluss“

  1. Dir scheint der Roman ähnlich gut gefallen zu haben, wie mir. :-) Eine schöne Rezension zu (wahrscheinlich) meinem persönlichen Buch des Jahres 2019. Man kann ihm nur möglichst viele Leser wünschen.

    LG und schönes WE!
    Stefan

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    1. Vielen Dank für Deinen Kommentar, lieber Stefan. Ich bin ganz Deiner Meinung – vor allem, dass diesem Buch viele Leser zu wünschen sind. Ansonsten habe ich noch andere Favoriten auf meiner Jahresbestenliste. Viele Grüße und ebenfalls ein schönes Wochenende

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  2. Hm, ich freue mich darauf, auf deine Besprechung zurückzukommen, sobald ich die englische Version gelesen habe. Mal schauen, wie rasch ich dazu komme. Auf jeden Fall liegt der Roman schon mal auf dem Lesehocker bereit.
    LG, Anna

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