Sigrid Undset – Kristin Lavranstochter. Der Kranz

„Du solltest die Ehre auf meinen Hof bringen.“

In den ersten drei Jahrzehnten, in denen der Literaturnobelpreis ab 1901 verliehen wurde, ist die Liste der weiblichen Preisträger kurz und übersichtlich. Nur drei Frauen erhielten in jener Zeit die renommierte Auszeichnung: die Schwedin Selma Lagerlöf, die italienische Schriftstellerin Grazia Deledda – und die Norwegerin Sigrid Undset (1882 – 1949). Ihr wurde diese besondere Würde 1928 zuteil wegen der Schilderungen des mittelalterlichen Lebens in ihrer Heimat. Zwei Werke ragen dabei heraus: das mehrbändige Epos „Olav Audunssohn“ sowie der nicht minder umfangreiche und mehrteilige Roman „Kristin Lavranstochter“, der im Original zwischen 1920 und 1922 erschienen war und nun in einer Neu-Übersetzung wiederentdeckt werden kann. 

Schwere Schicksalsschläge

Der in Stuttgart ansässige Kröner Verlag gibt alle drei Bände in der Übertragung von Gabriele Haefs heraus. Den Anfang machte „Der Kranz“, im Herbst folgt mit „Die Frau“ der zweite Teil. Der Schluss-Band wird für das kommende Jahr angekündigt. Im Mittelpunkt der Handlung steht Kristin Lavranstochter, Tochter eines vermögenden Gutsherren. In Band eins werden die Kindheit, Jugend und ihre Zeit als junge Frau beleuchtet. Die Familie lebt auf dem Jørundhof im Gudbrandsdalen, in Mittelnorwegen nahe dem Mjøsa-See gelegen. Immer wieder trüben herbe Schicksalsschläge ihr Dasein. Die Eltern verlieren drei Söhne im Kleinkind-Alter, vor allem die Mutter Ragnfrid, oft von Depressionen heimgesucht,  wird ihr ganzes Leben darunter leiden. Bei einem Unfall auf dem Hof wird Kristins jüngste Schwester sowie ihr Vater schwer verletzt. Während Lavrans wieder genesen kann, bleibt Ulvhild behindert. Darüber hinaus werden in jenen Jahren die Höfe von Missernten und harten Wintern heimgesucht.

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Obwohl Kristin bereits mit Simon, dem Sohn eines benachbarten Gutsbesitzers, auf Vermittlung ihres Vaters verlobt ist, verliebt sie sich während ihres Aufenthaltes im Kloster Nonnesæter nahe Oslo in den älteren Erlend. Zuvor hatte sie Arne, ihrem Freund aus Kindertagen, der sich in sie verliebt hatte, eine künftige Beziehung ausgeschlagen. Die Romanze leben Kristin und Erlend mit Leidenschaft aus. Sie treffen sich heimlich an verschiedenen Orten. Der Titel des ersten Bandes verweist dabei auf den goldenen Kranz, ein Schmuck von Jungfrauen adeliger Herkunft, den Kristin wegen ihrem außerehelichen Umgang  mit Erlend nicht mehr tragen dürfte.  Lavrans verweigert über eine lange Zeit seinen Segen für die Verbindung, bis er schließlich der Auflösung der Verlobung mit Simon und somit der Ehe mit Erlend zustimmt. Dass diese indes nicht glücklich sein wird, deutet sich bereits auf den letzten Seiten an.

Die Welt des 14. Jahrhunderts

Der Leser taucht mit Undsets Romantrilogie tief in die Zeit des 14. Jahrhunderts ein, er erfährt viel über das damalige Leben, wie der Alltag der Menschen war, was sie getragen und gegessen haben. Vor allem spiegelt das Buch Sitten und Gebräuche sowie die große Bedeutung der Religion – das Land war bereits christianisiert, Nidaros (heute Trondheim), Bergen und Hamar wichtige Zentren – wider. Viel ist deshalb von Ehre, Schuld und Sühne die Rede, sucht Kristin zwischen drei Männern stehend die Nähe zum klösterlichen Leben. Nicht nur an ihr wird deutlich, wie vielschichtig Undset die Schilderungen ihrer Heldinnen und Helden anlegt, ihre Gedanken- und Gefühlswelt darstellt. Obwohl selbstbewusst und das in einer Zeit, in der Frauen von ihren Familien verheiratet wurden und als Eigentum des Mannes galten, überkommen Kristin immer auch Zweifel ob ihrer Entscheidungen und Taten. Wer den Darstellungen von Beziehungen wenig Interesse entgegenbringt, wird wohl sowohl an den ungemein bildhaften Landschaftsszenen sowie an den Beschreibungen des mittelalterlichen Lebens seine Freude habe und den Sog spüren, den dieses Buch Kapitel für Kapitel entfaltet. Die Sprache der Norwegerin ist klar und sehr präzise, die Dialoge, vor allem in den dramatischen Szenen, dicht und pointiert.

„Sie wäre gern in dieser stillen, nachtdunklen Kirche geblieben, so lange das überhaupt möglich war – die wenigen, winzigen Lichtfunken wie goldene Sterne in der Nacht, der süßliche alte Weihrauchduft und der warme Geruch nach brennendem Wachs. Und hier ruhte sie in ihrem eigenen Stern.“

Das Wissen Undsets über die damalige Zeit kommt nicht von ungefähr. Ein Blick in das wechselvolle Leben der Autorin lohnt sich. Ihr Vater war der renommierte Archäologe Ingvald Undset. Er nahm sie als Kind mit in Museen und Kirchen – und stirbt allzu früh, als Sigrid gerade mal elf Jahre alt war. Ihre Mutter Charlotte, die ihre Tochter zum Malen animierte, entstammte hingegen aus einer dänischen Juristenfamilie. Sigrid Undset lernte die altnordischen Sprachen. Obwohl sehr wissbegierig, beendet sie mit 17 Jahren Schule und nahm eine Stelle als Sekretärin in der norwegischen Niederlassung des deutschen Unternehmens AEG auf. Während sie tagsüber arbeitete, schrieb sie in der Nacht. 1907 debütierte sie mit dem Roman „Frau Martha Oulie“. Ihre starke Hinwendung zum Glauben zeigte sich nicht erst, als sie bereits als erwachsene Frau zum Katholizismus konvertierte. Ihre Ehe mit dem Maler Anders Carstens, aus der drei Kinder hervorgehen, scheiterte.

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Sigrid Undset, 1932, fotografiert von Ernest Rude

Ihre Bücher setzen oft die romantischen Vorstellungen der Frau ihrer tatsächlichen Lebenswirklichkeit entgegen. Bereits in den 30er-Jahren galt sie als Kritikerin Hitlers und des Nationalsozialismus in Deutschland, so dass sie 1940, als die Wehrmacht Norwegen besetzte, über Schweden, die Sowjetunion und Japan in die USA flüchtete. Mit Kriegsende kehrte sie schließlich in ihre Heimat zurück. Im Alter von 67 Jahren starb sie in Lillehammer. In der Stadt in der Provinz Innlandet befindet sich heute das Museum zu Ehren Undsets, das in ihrem einstigen Wohnhaus eingerichtet und 2007 eröffnet wurde. Zu den Schätzen des Museums zählt auch die umfangreiche Bibliothek der Nobelpreisträgerin, die mit rund 7.000 Bänden fast vollständig erhalten wurde. Das dortige Literaturfestival trägt ihren Namen.

Doch wie steht es mit dem literarischen Erbe, wie wird die große Autorin heute noch wahrgenommen? Kess könnte man meinen, in Zeiten des kontaktlosen Bezahlens wird ihr Konterfei auf dem 500-Kronen-Schein nur noch von wenigen bemerkt. In einem Beitrag für die renommierte norwegische Tageszeitung Aftenposten, im Februar 2020 erschienen, fordert die Undset-Expertin Kristin Brandtsegg Johansen ein Wiederlesen ihrer Werke und wagt den Vergleich zwischen Elena Ferrante und Undset. Manche sehen sie im Schatten der großen Norweger Hamsun und Ibsen stehen.

In Deutschland sind in den vergangenen Jahren, genauer gesagt 2019 im Rahmen des Gastlands-Auftritts Norwegens auf der Frankfurter Buchmesse, bereits zwei Werke der Autorin als Neuausgabe erschienen: der in der frühen Wikinger-Ära angesiedelte Roman „Viga-Ljot und Vigdis“ (Hoffmann & Campe) sowie die um die Jahrhundertwende angelegte Erzählung „Das glückliche Alter“ (Suhrkamp). Wie es wohl weitergehen wird? Zu wünschen wäre, dass in einem der beiden kommenden Bände der Kristin-Lavranstochter-Ausgabe noch ein umfangreiches Nachwort zu finden ist, der erste Teil enthält bisher nur ein Verzeichnis mit interessanten und erhellenden Anmerkungen – und dass weitere Neuausgaben den Weg in die Verlagsprogramme finden. Vielleicht auch eben „Olav Audunssohn“, der jedoch noch als Taschenbuch-Ausgabe erhältlich ist (S. Fischer). Denn auch ihre historisch angelegten Bücher lassen sich trefflich in unserer modernen Gegenwart aus vielerlei Blickpunkten heraus diskutieren.

Weitere Besprechungen des Romans auf dem Blog „LiteraturReich“ und der Seite von Birgit Böllinger.


Sigrid Undset: „Kristin Lavranstochter. Der Kranz“, erschienen im Kröner Verlag, in einer Neu-Übersetzung von Gabriele Haefs; 382 Seiten, 22 Euro

Bild von Jörg Petersen auf Pixabay

2 Kommentare zu „Sigrid Undset – Kristin Lavranstochter. Der Kranz

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