Greg Buchanan – „Sechzehn Pferde“

„Mit einem Geschöpf, das kein Mensch ist, kann man nach Belieben verfahren.“

Der schaurige Anblick erinnert an eine mystische, symbolisch aufgeladene Opferzeremonie. 16 Pferdeköpfe werden mit einem Auge gen Himmel blickend nebst einigen abgetrennten Schweifen kreisförmig in den Acker eingegraben nahe einer Farm gefunden. Die Polizei wird gerufen. Neben dem hiesigen Detective Sergeant Alec Nicols kommt auch Cooper Allen als Spezialistin hinzu. Beide können da noch nicht ahnen, dass sie mit ihren wochenlangen Ermittlungen in den Abgrund der menschlichen Seele blicken werden. Der schottische Autor Greg Buchanan hat mit seinem Debüt „Sechzehn Pferde“ einen Roman von verstörender Dunkelheit geschrieben.

Dystopische Züge

Denn hier, auf knapp 450 Seiten, ist der Tod zu Hause. Es gibt leblose Körper und Körperteile von Tieren wie Menschen. Lebende wie Alec werden von ihren Erinnerungen an die Toten – er verlor seine Frau durch den Krebs – begleitet. Ilmarsh, eine englische Küstenstadt, ringt förmlich mit dem Tod. Es ist ein ödes Fleckchen Erde, das bessere Tage gesehen hat. Der Fischfang, die Ölförderung und der Tourismus, die einst Jobs und Geld, Gäste und damit Leben gebracht haben, gibt es kaum mehr. Mehrere Seuchen haben die ansässigen Bauern an den Rand der Existenz gebracht. In diesen düsteren Ort, der im Verlauf der Handlung an den Schauplatz einer Dystopie erinnern wird, verschlägt es Cooper Allen, ihres Zeichens Veterinärmedizinerin und Forensikerin, eine Expertin, die für ihre akribische Arbeit bekannt ist und geschätzt wird. Dabei ist der Fund der abgetrennten Pferdeschädel – die Tiere stammen von verschiedenen Haltern und wurden alle auf ähnliche grausame Weise getötet – nur der Anfang.

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Eine Infektion nimmt folgend ihren Lauf, die mehrere Menschen das Leben kostet. Andere wählen den Freitod, weil sie am Ende sind, vielleicht auch eine schreckliche Schuld auf sich geladen haben. Auf einer nahe gelegenen Insel, auf der sich einst eine schreckliche Tragödie ereignet hat, werden weitere Tierkadaver entdeckt. Alec gerät in Verdacht, als Spuren mit ihm in Verbindung gebracht werden. Nach einem Unfall verschwindet sein 18-jähriger Sohn Simon, von dem später ein abgetrenntes Körperteil gefunden wird. Sogar die Auflösung des Falls am Ende des Buches, die erstaunt und entsetzt, lässt keinen Lichtblick zu und befreit den Leser letztlich nicht aus dem dunklen Strudel, sondern verstärkt ihn vielmehr, soviel sei an dieser Stelle über das erschütternde Dark-Bad End mit seinen überschlagenden Ereignissen erzählt.

„Frank stellte sich vor, dass jeder, der sich an diesen Ort begeben hatte, einen Teil von sich selbst im Wasser und im Erdboden zurückgelassen hatte. Zeugnisse des Lebens. Weises Geflüster, Ansammlungen von Stimmen, ein Nachhall von Bedeutungen, einer Menschenmaschine gleichend, Geschichte, in einem Glas eingefangen.“

„Sechzehn Pferde“ ist Buchanans Erstling, was man wegen des raffinierten Aufbaus und Spannungsbogens auf den ersten Blick gar nicht glauben mag. Schaut man indes in seine Biografie findet sich vielleicht die eine oder andere Erklärung. Buchanan, Jahrgang 1989, studierte Englisch in Cambridge und Creative Writing an der University of East Anglia und ist in der Gaming-Community als Drehbuch-Autor kein Unbekannter. Sein Debüt lebt von schnellen „Schnitten“ und Zeitsprüngen. Vieles, was sich ereignet, hat seine Wurzeln in der Vergangenheit. Es ist kein Buch, das man hastig lesen sollte. Vielmehr verlangt der an Andeutungen satte Roman Aufmerksamkeit, um letztlich alle Verbindungen und Entwicklungen nachvollzuziehen zu können, wobei diese Konzentration auf das Geschehen die Gewalt und Grausamkeit noch verstärken kann. Es braucht deshalb gute Nerven und ein gewisses Maß an seelischer Abhärtung, um die Handlung verdauen zu können. Die furchtbaren Erlebnisse hinterlassen selbst bei der erfahrenen Forensikerin tiefe innere Spuren und Wunden.

Das Leid der Tiere und deren Rechtlosigkeit

„Sechzehn Pferde“ erzählt von maßloser körperlicher wie seelischer Gewalt, der Abgrund, in den der Brite mit seiner vielschichtigen und durchgängig spannenden Story führt, ist dunkel und tief. Immer wieder thematisiert Buchanan das Leid der Tiere und deren Rechtlosigkeit, Sterben und Vergänglichkeit, den Zersetzungsprozess des Organischen. Er schreibt von Schuld und menschlicher Kälte in ihren verschiedensten Ausprägungen, die Hass zwischen den Generationen und damit eine neue Gewalt mit all ihrem Leid mit sich bringen. Doch nicht nur thematisch erweist sich der düstere Roman als großer Wurf. Auch sprachlich, gedankenschwer und teils poetisch, weiß er voll und ganz zu überzeugen und ragt aus der Masse der Krimi-Literatur deutlich hervor, so dass man ohne große Übertreibung durchaus eine große Hoffnung und Vorfreude auf einen möglichen nächsten Roman des Schotten hegen kann und sollte.

Eine weitere Besprechung gibt es auf dem Blog „Buch-Haltung“.


Greg Buchanan: „Sechszehn Pferde“, erschienen bei S. Fischer, in der Übersetzung aus dem Englischen von Henning Ahrens; 448 Seiten, 22 Euro

Foto von Sebastian Abbruzzese auf Unsplash

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