Helga Flatland – „Zuunterst immer Wolle“

„Aufsässigkeit ist einfacher als Entschuldigung, harte, kalte Distanz einfacher als Scham und Angst.“

Ein einziger Anruf hebt das Leben von Sigrid aus den Angeln. Ihre Mutter Anne erzählt ihr, dass sie an Krebs erkrankt ist. In den kommenden Monaten wird die Ärztin nicht nur mit den furchtbaren Folgen der heimtückischen Krankheit ihrer Mutter konfrontiert. In die Gefühle zwischen Verzweiflung, Trauer und Hoffnung mischen sich schmerzvolle Erinnerungen an ihre Kindheit. In ihrem eindrücklichen Roman „Zuunterst immer Wolle“ nimmt die norwegische Schriftstellerin Helga Flatland das Leben und die vielschichtigen Beziehungen einer Familie mit sehr viel Feingefühl in den Fokus.

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Greg Buchanan – „Sechzehn Pferde“

„Mit einem Geschöpf, das kein Mensch ist, kann man nach Belieben verfahren.“

Der schaurige Anblick erinnert an eine mystische, symbolisch aufgeladene Opferzeremonie. 16 Pferdeköpfe werden mit einem Auge gen Himmel blickend nebst einigen abgetrennten Schweifen kreisförmig in den Acker eingegraben nahe einer Farm gefunden. Die Polizei wird gerufen. Neben dem hiesigen Detective Sergeant Alec Nicols kommt auch Cooper Allen als Spezialistin hinzu. Beide können da noch nicht ahnen, dass sie mit ihren wochenlangen Ermittlungen in den Abgrund der menschlichen Seele blicken werden. Der schottische Autor Greg Buchanan hat mit seinem Debüt „Sechzehn Pferde“ einen Roman von verstörender Dunkelheit geschrieben. „Greg Buchanan – „Sechzehn Pferde““ weiterlesen

Kent Haruf – „Kostbare Tage“

„Hier passiert nichts, ohne dass alle Leute es mitkriegen.“

Schriftsteller erschaffen nicht nur literarische Figuren und deren Leben, sondern oftmals auch Orte. In allen sechs Romanen des amerikanischen Autors Kent Haruf (1943 – 2014) ist die fiktive Kleinstadt Holt in Colorado Schauplatz der Handlung. Mit seinem letzten Roman „Our Souls by Night“, 2017 in deutscher Übersetzung mit dem Titel „Unsere Seelen bei Nacht“ erschienen, setzte in den vergangenen Jahren eine Wiederentdeckung und Würdigung des mehrfach preisgekrönten Verfassers ein. Zuletzt erschien sein Roman „Kostbare Tage“ aus dem Jahr 2013, mit dem er sich auf ergreifende Art einem Tabu-Thema zuwendet: Tod, Abschied und Trauer.  „Kent Haruf – „Kostbare Tage““ weiterlesen

Schein – Olivier Bourdeaut „Warten auf Bojangles“

„Bei Tageslicht zu weinen ist wirklich etwas anderes, der Traurigkeitsgrad ist ein anderer.“

Er liebt sie, sie liebt ihn. Gemeinsam lieben sie ihren Sohn. Gemeinsam leben sie wie in einem Märchen: mit einem Schloss, mit rauschenden Partys. Sie tanzen, als gäbe es kein Morgen mehr; ihr gemeinsames Lied: „Mr. Bojangles“ von Nina Simone (1933 – 2003). Traurig und lebendig zugleich –  wie ihr Leben. Der Franzose Olivier Bourdeaut erinnert in seinem Debüt „Warten auf Bojangles“ an diesen Evergreen der amerikanischen Sängerin und erzählt darin zugleich eine unvergessliche Geschichte über eine ganz besondere Familie und ihr tragisches Schicksal.  „Schein – Olivier Bourdeaut „Warten auf Bojangles““ weiterlesen

Lucine – Delphine de Vigan „Das Lächeln meiner Mutter“

„Ich schreibe wegen des 31. Januars 1980. Der Ursprung des Schreibens liegt genau dort, das weiß ich dunkel, in diesen wenigen Stunden, die unser Leben kippen ließen, in diesen Tagen davor und in der Zeit der Isolation.“

Mit dem Blick eines stillen Beobachters erscheint es, dass viele Familien ein harmonisches und zufriedenes Leben führen. Auch die Fotos, die an den Wänden hängen, auf Kommoden stehen, unterstreichen diesen ersten Eindruck. Erst durch das Erzählen oder durch das Schreiben dringen oftmals traurige und tragische Geschehnisse und Details an die Öffentlichkeit. Die französische Autorin Delphine de Vigan hat ihre Familiengeschichte niedergeschrieben, die von Dramatik, Emotionen, Krankheit und Tod sowie einer besonderen Beziehung zu ihrer Mutter Lucine geprägt ist.  „Lucine – Delphine de Vigan „Das Lächeln meiner Mutter““ weiterlesen

Duell – Jennifer Dubois „Das Leben ist groß“

„Ich sah die Schönheit, das verrückte, eigenartige Glück, das darin lag, allein und unbeachtet und barfuß irgendwo draußen in der weiten Welt  zu sein. Vielleicht war es ein Segen, irgendwie. Es war wie der freie Fall von jemandem, dessen Fallschirm nicht funktioniert.“

Ihr bleibt nicht viel Zeit. Das Leben sagt „Schach“. Irina Ellison wird vermutlich an dem heimtückischen Hirn-Leiden Chorea Huntington erkranken. Wie ihr Vater, der nach dem Verlust der motorischen Fähigkeiten auch die geistigen verliert und nach einigen Jahren stirbt. Ein Gen-Test ergibt, dass ihre Chance, ebenfalls eines Tages davon betroffen zu sein, 50:50 steht. Irina, die Philosophie und Literaturwissenschaft studiert, über Vladimir Nabokov promoviert hat, entscheidet sich für einen kompletten Lebenswandel. Sie zieht sich zuerst in eine selbst gewählte Einsamkeit zurück, um schließlich ihren Partner, Freunde und Familie zu verlassen und von Amerika nach Russland zu fliegen. Dort will sie den einstigen Schachweltmeister Alexander Besetow treffen, von dem ihr Vater, ein Pianist und College-Lehrer, einst geschwärmt und an den er damals einen Brief geschrieben hatte. Eine besondere Geschichte nimmt ihren Lauf, die in ein scheindemokratisches Land  führt. „Duell – Jennifer Dubois „Das Leben ist groß““ weiterlesen

Nach dem Abgrund – Ralf Bönt „Das kurze Leben des Ray Müller“

„Laut einer meiner Schülerinnen gibt es ein mathematisches Gesetz, nach dem jeder, an den man denkt, mindestens halb so oft auch an einen schon gedacht hat.“

Was hebt die eigene Welt aus den vertrauten Angeln, wie kann einem der Teppich unter den Füßen weggezogen werden? Wann wird aus Unschuld Schuld? Marko Kindler weiß darüber eine Geschichte zu erzählen, es ist seine eigene. Er blickt zurück auf die vergangenen Jahre, als er in einer Gefängniszelle auf den Psychologen wartet, nachdem er seinen nur wenige Wochen alten Sohn entführt hat. Dabei lief es für den Juristen, Übersetzer und Krimi-Autor doch alles wie am Schnürchen, nachdem er aus einem Tief wieder nach oben gekommen war. Nach einer gescheiterten Beziehung trifft er auf die Journalistin Lycile, das Paar bekommt mit dem kleinen Ray nach zahlreichen Fehlgeburten endlich das ersehnte Kind. Doch der Schein einer perfekten Familie trügt. Denn allzu viel ist passiert in jenen Jahren.  „Nach dem Abgrund – Ralf Bönt „Das kurze Leben des Ray Müller““ weiterlesen

Recht der Religionen – Ian McEwan „Kindeswohl“

„Religionen, moralische Prinzipien, auch ihre eigenen, waren wie Gipfel in einem dichtgefügten Gebirgszug, aus großer Entfernung gesehen: keiner eindeutig höher, wichtiger, wahrer als die anderen. Wie sollte man da urteilen.“

Das Leben eines Kindes ist fremdbestimmt. Da sind die Lehrer, Erzieher und vor allem die Eltern, die über das Wohl und den Weg eines Kindes entscheiden. Bekannt ist auch der Terminus Vormund, der aus dem Althochdeutschen stammt. Der Begriff „Munt“ bedeutet „Schutz“. In den meisten Fällen übernehmen die Eltern diese wichtige Rolle, manchmal jedoch mit ungeahnten und erschreckenden Folgen. Denn die Eltern selbst haben sich für ein Leben mit drastischen Regeln entschieden. Ihrer Religion wegen. Glauben und Glaubensgemeinschaften sind derzeit ein sehr brisantes Thema, meist jedoch mit Blick auf die Auseinandersetzungen zwischen ihnen. Der englische Autor Ian McEwan widmet sich in seinem neuesten Roman „Kindeswohl“ einer nicht weniger interessanten Facette. Wie beeinflusst die Religion das Familien-Leben und das ungefährdete Heranwachsen eines Kindes?  „Recht der Religionen – Ian McEwan „Kindeswohl““ weiterlesen

Verloren gegangen – Katharina Hartwell "Das fremde Meer"

„Das Leben ist ein raues, ein stürmisches, ein gefährliches, ein unendlich weites, ein wildes, viele Geheimnisse und viele Gefahren und viele Riffe beherbergendes Meer. Und es gibt nicht viele milde Tage, und es gibt viele Möglichkeiten, Schiffbruch zu erleiden. Und auf jeden Sturm folgt der nächste und auf jede Untiefe eine weitere.

Eine immer währende Sicherheit im Leben gibt es nicht. Nur der Glaube daran existiert und lässt uns vergessen, welche Schicksalsschläge und Katastrophen möglich wären. Nur so können wir jeden Tag vor die Haustür treten, jeden Tag am Abend einschlafen. Ständige Gedanken an das Nichts, an Verluste, an den Tod würden uns die Luft zum Atmen nehmen. Über diesen allmächtigen Moment des Schicksalsschlages. der einen den Boden unter den Füßen wegreißt, hat Katharina Hartwell den Roman „Das fremde Meer“ geschrieben – besser gesagt: zehn Geschichten, die sich jedoch wie ein Mosaik zusammenfügen, um das große Bild zu erschaffen. Dazu später mehr. „Verloren gegangen – Katharina Hartwell "Das fremde Meer"“ weiterlesen