Alba de Céspedes – „Das verbotene Notizbuch“

„Wann sind wir wahrhaftig wir selbst?“

Bereits mit dem Kauf überschreitet sie ganz bewusst eine Grenze. An einem Sonntag im November entdeckt Valeria beim Tabakhändler ein Notizbuch. Mit all ihren Überredungskünsten überzeugt sie ihn, ihr schließlich doch den schlichten Band auszuhändigen, obwohl er sonntags nur Tabak verkaufen darf, der letztlich in Form von Zigaretten auch das eigentliche Ansinnen Valerias war, das Haus an jenem Morgen zu verlassen. Das Notizbuch und das Schreiben verändern fortan das Leben der Ehefrau und zweifachen Mutter. Mit „Das verbotene Notizbuch“ hat die kubanisch-italienische Schriftstellerin Alba de Céspedes (1911-1997) einen zeitlosen Klassiker über eine Frau und das verzweifelte Ringen um Selbstbestimmung geschrieben, der in einer Neuübersetzung von Verena von Koskull nun wieder entdeckt werden kann.

Enkelin des kubanischen Präsidenten

1952 erscheint „Quaderno Proibito“ im italienischen Original. Die Autorin, Enkelin des ersten kubanischen Präsidenten Carlos Manuel de Céspedes und Tochter eines kubanischen Diplomaten und einer Italienerin, ist da nicht nur in literarischen Kreisen, sondern bereits einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Mit einem Erzählband debütiert sie 1935, wenige Jahre später wird ihr erster Roman veröffentlicht und zu einem Bestseller. 1944 gründet die Autorin und Verfasserin von zudem Lyrik sowie Drehbüchern die Literaturzeitschrift „Mercurio“, hält Kontakt zu zahlreichen bekannten Autoren. Während des Zweiten Weltkriegs unterstützt sie den Widerstand. In den 1960er-Jahren zieht es sie nach Paris. Neben der Neuübersetzung ihres Romans „Das verbotene Notizbuch“ erinnert der Insel Verlag zudem mit der kürzlich erschienenen Neuausgabe des Romans „Aus ihrer Sicht“ an die hierzulande nur wenig bekannte Journalistin und Autorin.

20230311_113626_neu

Von Alba de Céspedes ist in „Das verbotene Notizbuch“ indes nur wenig zu finden. Eine ganz andere Frau begegnet den Lesenden bei der Lektüre des Romans, der – wie der Titel es vielleicht schon erahnen lässt – in Form eines Tagebuchs geschrieben ist. Von Ende November 1950 bis Ende Mai 1951 – also ein gutes halbes Jahr – schreibt die Ich-Erzählerin Valeria Cassati ihre Gedanken und Gefühle in das Buch, berichtet zugleich von den Geschehnissen des Tages und blickt zurück auf frühere Ereignisse. Doch das Schreiben ist immer mit einer gewissen Furcht verbunden. Valeria widmet sich ihren Notizen heimlich, den Band hält sie an wechselnden Orten versteckt: in der Keksdose, in einem Lumpensack, in einem Schrank oder einer Schublade. Zu dieser Angst, als Schreibende entdeckt zu werden, gesellt sich das Gefühl, etwas Falsches zu tun, wenn sie im Geheimen ihre wahrhaftigen Empfindungen in Worte fasst, ihr Innerstes nach Außen holt. Jenes Inneres, von dem ihr Mann Michelle, mit dem sie bereits mehr als 20 Jahren verheiratet ist, und ihre bereits erwachsenen Kinder Riccardo und Mirella nichts ahnen.

Gefangen zwischen verpflichtungen und Anspruch

Eine fehlerhafte beziehungsweise lückenhafte Kommunikation birgt Sprengstoff. Und so ist es nicht verwunderlich, dass es im Verlauf des Romans regelmäßig zu Konflikten kommt. Es fällt Valeria schwer, über ihre Bedürfnisse zu sprechen, allzu eng schnürt sie das Korsett aus Verpflichtungen und dem fremden wie eigenen Anspruch ein; überlagert von einem Rollenbild, das auf den ersten Blick historisch erscheint, aber bis heute noch nie gänzlich verschwunden ist: Die Frau hat eine gute Mutter, Haus- und Ehefrau zu sein und der Familie zu dienen. Die gerade im Zuge der Corona-Pandemie aufgekommene Diskussion zur unbezahlten und oft auch kaum gewürdigten Care-Arbeit von Frauen ist da bestes Beispiel.

Die Heldin schuftet sich ab, kümmert sich um die Familie, den Haushalt und geht, weil das Geld knapp ist, einer geregelten Arbeit in einem Büro nach. Allzu oft kommt sie da an ihre Grenzen, beklagt ihre Belastung. Hoffnungsschimmer auf ein besseres, unbekümmertes Leben sind nur von kurzer Dauer. Ein Ausbruch aus dem ermüdenden Alltag an der Seite ihres Vorgesetzten Guido, für den sie tiefe Gefühle entwickelt hat, bleibt reine Fantasie. Wie auch der Traum ihres Mannes, aus dem tristen beruflichen Dasein als Bank-Mitarbeiter zu entfliehen und mit Hilfe einer Freundin Valerias ein bekannter Drehbuch-Autor zu werden.

„Dieses Heft, mit seinen weißen Seiten, zieht mich an und verstört mich zugleich, wie die Straße.“

Valeria ist allerdings keine Heldin, die man uneingeschränkt mögen wird. Vor allem an ihrem recht unterwürfigen Verhalten zu ihrem Mann, der sie „Mama“ nennt, und ihrem Sohn, der großartige Pläne für ein Leben in Südamerika schmiedet, aber letztlich nicht umsetzt, und an der konfliktbehafteten Beziehung zur Tochter zeigt sich die Zwiespältigkeit ihrer Person. Mirella, die eben die Freiheit eigener Entscheidungen auskosten möchte und an der Seite eines älteren Mannes ein selbst bestimmtes Leben führen will, wird von ihrer Mutter attackiert – verbal wie körperlich. Sie möchte das Leben, das sie für sich selbst erhofft, ihrer Tochter nicht zugestehen.

Gesellschaftliches Panorama

Über die Rolle der Frau und das Ringen um Selbstbestimmung hinaus zeigt sich der Roman komplex und vielschichtig. „Das verbotene Notizbuch“ ist ein tiefgreifendes Familienporträt und zugleich ein eindrückliches gesellschaftliches Panorama der Nachkriegszeit. Mehrfach blickt die Heldin auf vergangene Jahre zurück, beschreibt auch die finanzielle Not, die noch immer ihr Denken beherrscht. Das Geld reicht, aber große Sprünge können sich die Cassatis nicht erlauben. Mehrfach beklagen Riccardo und seine Schwester die Lage. Sie sind davon überzeugt, in ihrem Leben vieles besser zu machen, vermögend zu werden. Das Aufopfern ihrer Eltern, vor allem das ihrer Mutter erkennen sie genauso wenig wie die Schwierigkeit eines gesellschaftlichen Aufstiegs. Stand und Standesdünkel, Geld und Konsum sind große, wiederkehrende Themen dieses Buches. Valeria ist dabei Vertreterin einer Zwischen-Generation, die von den Normen der Alten geprägt worden ist und den Aufbruch der Jungen nur passiv beobachten kann, anstatt einen eigenen Neustart zu wagen und an ihrer eigenen Lage etwas zu ändern.

„Obwohl unser Innenleben uns allen das Teuerste ist, müssen wir ständig so tun, als seien wir uns seiner kaum bewusst, als lebten wir es mit fühlloser Standfestigkeit.“

Über all diese Fragen von Identität und Gesellschaft hinaus eignet sich dieser große Roman auf besondere Weise, über das Schreiben und seinen Einfluss nachzudenken. Im Verlauf dieses halben Jahres reflektiert Valeria immer wieder, wie das Schreiben ihr Denken beeinflusst, wie es allerdings auch von Schuldgefühlen begleitet wird. Über einen gewissen Zeitraum dreht sich alles um ihr Notizbuch und das Füllen der Seiten, es wird zu einem inneren Bedürfnis. Mit dem Schreiben, so bemerkt sie, erscheinen ihre Erinnerungen präsenter, intensiver. Am Ende entscheidet sich Valeria jedoch, die Zeit wieder zurückzudrehen. Ihr Abschied vom Notizbuch bedeutet letztlich auch eine Absage an einen erhofften Neubeginn, der nur durch das Schreiben lebendig wurde. Ernüchterung stellt sich beim Lesen ein und wirkt auch als eine Art Spiegel: Was wollen wir mit unserem Leben und was hindert uns womöglich daran.


Alba de Céspedes: „Das verbotene Notizbuch“, erschienen im Insel Verlag, in der Übersetzung aus dem Italienischen von Verena von Koskull; 302 Seiten, 12 Euro

Foto von Thomas Martinsen auf Unsplash

4 Kommentare zu „Alba de Céspedes – „Das verbotene Notizbuch“

Kommentar schreiben

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..