„Ich glaube, dass wir ein paar Dinge für immer verlieren. Ich glaube, sogar, dass wir mehr das sind, was wir verloren haben, als das, was wir besitzen.“
Nahezu jeder spürt die Furcht vor dem eigenen Tod sowie dem Verlust eines geliebten Menschen. Wie wir mit dem unwiederbringlichen Ende umgehen, wird verschieden sein. Manchmal weigern wir uns, uns der Trauer zu stellen. Bis auch sie sich einstellt. Wenige Wochen nach dem Tod ihrer Mutter ist Blanca hin und hergerissen. Auf der einen Seite fühlt sie den Schmerz, auf der anderen Seite ist da das pure Leben mit Freundinnen, Männern und den beiden Söhnen. Der Sommersitz der Familie in dem beschaulichen Fischerdorf Cadaqués an der spanischen Mittelmeer-Küste verspricht Rückzug und Ablenkung zugleich.
Doch Haus und Ort holen auch wieder die Erinnerungen und die Gedanken an den Tod der Mutter hervor. Der Roman „Auch das wird vergehen“ der Spanierin Milena Busquets ist deshalb kein heiterer Sommer-Roman für ein paar schöne Stunden im Strandkorb; obwohl sich in diesem schmalen Buch auch Humor und eine quirlige, ja ansteckende Lebensfreude finden. Denn um die 40-jährige Blanca hat sich wenige Tage nach der Beerdigung eine bunte Schar der ihr wichtigsten Menschen versammelt. Neben den beiden Söhnen Nicolás und Edgar, fünf und 13 Jahre alt, sowie ihren beiden Ex-Männern Guillem und Oscar gesellen sich auch die beiden Freundinnen Sofia und Elisa. Und auch der verheiratete Geliebte Santi ist für geheime Begegnungen in ersehnter Reichweite. Es ist eine Zeit aus Strand, Sonne und Meer, aus Alkohol, Joints und Sex – die versuchte, vielleicht auch zwanghafte Rückkehr in ein ausgelassenes Leben. Doch wer hinter dieser fidelen, frechen und frivolen Stimmung schaut, die ein wenig an die Sorglosigkeit der Hippies oder einer Künstler-Kommune erinnert und wohl auch die Leserschaft spalten kann, entdeckt sehr viel Melancholie und eine gewisse Gedankenschwere, die diesem Buch sowohl als auch Bedeutung verleihen.
„Mein Platz auf der Welt war in deinem Blick, und der schien mir so unstrittig und beständig, dass ich mir nie die Mühe machte, herauszufinden, wie er beschaffen war.“
Blanca, die nicht nur Heldin, sondern auch Erzählerin ist, lässt das Leid und den Kummer infolge der schweren unheilbaren Krankheit ihrer Mutter Revue passieren. Obwohl zwischen beiden Frauen auch Spannungen und eine gewisse Distanz geherrscht haben, fühlt Blanca den schmerzlichen Verlust, eine nicht ausfüllbare Lücke und das komplette Fern-Sein ihrer Mutter, die sie schrecklich vermisst. Dass sie in ihren letzten Minuten ihr nicht zur Seite gestanden hat, ist ein Vorwurf, dem sie sich selbst stellen muss. In ihrer Wohnung hat sie einige Dinge ihrer Mutter aufbewahrt, von denen sie sich nicht trennen kann. Einher geht mit dieser Trauer auch der Gedanke, selbst in der Mitte des Lebens angekommen zu sein und die Frage nach der verbliebenen Lebenszeit. In einer Passage heißt es: „Und wie im Märchen, kann nur die wahre Liebe, und zuweilen nicht einmal die, den Kummer beenden. Die Zeit bezähmt ihn, wie sie uns bezähmt, sie ist ein Zirkusdompteur.“ In ihrem Erzähl- und Gedankenstrom finden sich regelmäßig Passagen, die Blanca direkt an ihre Mutter richtet. Gerade die Szene, als sie nach dem Wiedersehen mit einem abgehalfterten Freund und eine anschließende Party in den frühen Morgenstunden den Friedhof aufsuchen will, sowie der anschließende Epilog sind ungemein ergreifend. Vor allem sicherlich für all jene Leser, die schon selbst ein Elternteil verloren haben.
Der Roman „Auch das wird vergehen“ von Milena Busquets erschien im Suhrkamp Verlag, in der Übersetzung aus dem Spanischen von Svenja Becker; 170 Seiten, 19,95 Euro