Intelligenz – Andreas Brandhorst „Das Erwachen“

„Würden sie die Menschen für eine intelligente Spezies halten? Wenn man bedenkt, welches Chaos wir auf der Erde anrichten?“

Wir kommunizieren via Internet.  Apps helfen uns, die Heizung zu regulieren, Bestellungen zu machen, Geld zu überweisen. Die Welt ist miteinander vernetzt und wir mit ihr. All das nehmen wir mittlerweile selbstverständlich hin. In einigen Jahrzehnten werden die digitalen Möglichkeiten wohl noch raumgreifender sein. Doch was geschieht, wenn der Mensch die Herrschaft über seine eigene Technik verliert, weil eine sogenannte Maschinenintelligenz entsteht? Andreas Brandhorst hat über dieses mögliche Zukunftsszenario einen beklemmenden und spannenden Roman geschrieben, der zugleich schildert, wie beängstigend abhängig die Menschheit bereits von der vernetzten digitalen Welt ist – in all nur erdenklichen Lebensbereichen. 

Stephen Hawkings warnende Worte

Die Warnung vor einer Maschinenintelligenz, also dem Zusammenschluss aller Server, Geräte und künstlicher Intelligenzen sowie der Entstehung eines eigenen Bewusstseins dieses Systems, ist durchaus kein neuer Gedanke. In den vergangenen Jahren ist dieser schon mehrfach von den verschiedensten Wissenschaftlern und Technikern formuliert worden; so von dem Physiker Stephen Hawking, der 2014 sagte, dass die Entwicklung echter künstlicher Intelligenz das Ende der Menschheit bedeuten könnte. Im selben Jahr erschien in deutscher Übersetzung das Werk des schwedischen Philosophen Nick Bostrom „Superintelligenz. Szenarien einer kommenden Revolution“ (Suhrkamp). Einige dieser Warnungen, darunter die Worte Hawkings, stehen dem Roman voran, der in die 30er-Jahre unseres Jahrhunderts blickt und mit einer ganz anderen Gefahr beginnt: Ein Weltkrieg droht, da sich mehrere Länder gezielter und schwerwiegender Cyber-Attacken beschuldigen. Die Stimmung heizen verschiedene Krisenherde auf, die über dem gesamten Globus verstreut sind. Nur die internationale Raummission auf dem Weg zum Mars scheint den Beweis antreten zu wollen, dass sich die Länder miteinander verstehen und zusammenarbeiten.

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Axel Krohn, Hacker mit besonderer Vergangenheit und Inhaber eines Unternehmens für digitale Spiele, wird zu einem mysteriösen Treffen an den alten Hafen in Hamburg gerufen. Als er dort eintrifft, findet er zwei Männer ermordet auf. Vor Ort nimmt er einen Stick an sich, der brisantes Material für einen globalen und verheerenden Cyberanschlag birgt. Was Krohn nicht weiß: Er aktiviert auch einen Virus, der die Rechner weltweit infiziert, woraus schließlich die Maschinenintelligenz erwächst. Nicht nur ein Agent der berüchtigten NSA heftet sich an die Fersen des Hackers. Die Polizei verdächtigt ihn des Mordes. Später suchen auch das Internationale Institut für Frieden und Sicherheit und dessen Leiterin, die Norwegerin Victoria Jorun Dahl, sowie der Ermittler Coorain Coogan vom Team der Strategic Cyberforce Advanced Response den Kontakt zu Krohn, den dem fällt mit der wachsenden Gefahr durch die Maschinenintelligenz letztlich eine besondere, wenn nicht sogar die Haupt-Rolle zu – in der Konfrontation zwischen Menschheit und Maschinenintelligenz.  Es ist dabei nur eine Frage von Stunden zwischen dem Freisetzen des Virus, seiner Verbreitung und des Erwachens der Maschinenintelligenz. In dieser Zeit kommt es zu massiven Stromausfällen, die die Menschen vor großen Herausforderungen stellen. Es gibt kein Geld mehr an den Bankautomaten, Waren werden nur noch gegen Bargeld verkauft, die Verkehrsleitsysteme fallen aus, der Verkehr kollabiert, da die Elektro-Autos ihren Geist aufgeben, die Heizungen wärmen nicht mehr. Obwohl August, herrschen in Hamburg durch den Ausfall des Golfstroms nahezu winterliche Bedingungen. Supermärkte werden geplündert, Flugzeuge stürzen ab. Das moderne Alltagsleben bricht zusammen, während die Maschinenintelligenz nach jeder Ressource greift und weiter wächst, bereits die Welt nach ihren Vorstellungen verändert und die Menschheit nahezu ratlos ihrem unsichtbaren Gegner ausgeliefert ist.

„Wahrheit oder Lüge. Was spricht aus dir? Und wie kann eine Antwort keine Antwort sein? Ich kenne die menschliche Irrationalität, ich begegne ihr überall, ich sehe und höre sie. Liegt sie auch in deinen Worten?“

Brandhorst, der in der Vergangenheit bereits einige erfolgreiche Science-Fiction-Romane verfasst und für sein neuestes Werk sehr viel recherchiert hat, verteilt das facettenreiche, dicht komponierte und an vielen Stellen gesellschaftskritische Geschehen geschickt sowie die Spannung verstärkend auf mehrere Handlungsstränge und -orte, wobei alle Fäden schließlich in die Ewige Stadt Rom münden, wo das Internationale Institut für Frieden und Sicherheit nicht nur seinen Sitz hat, sondern sich auch ein neuralgischer Punkt der Maschinenintelligenz, die auf den Namen Goliath getauft wird, befinden soll; die einzige Hoffnung, da sich Goliath auch die verschiedenen künstlichen Intelligenzen auf der Welt einverleibt hat. Doch Victoria Jorun Dahl, Ermittler Coorain Coogan und Krohn sowie die Whistleblowerin Giselle an seiner Seite ahnen nicht, dass ihr die Welt rettender Einsatz auch Gegner weiß, die erst mit der Zeit ihr wahres Gesicht und ihr eigentliches Ziel offenbaren.

Philosophische Gedanken: Gott und die Evolution

Ist der erste Teil vor allem dem Aufbau der Geschichte und der Spannung geschuldet, enthalten die letzten Kapiteln interessante philosophische Gedanken: zur Stellung des Menschen und den Stufen der Evolution, der Frage nach Gott, über Zeit und Vergänglichkeit. Das Ende erscheint dann überraschend diplomatisch. Freunde von Dystopien hätten hier wohl einen etwas anderen, dunkleren Abschluss erwartet. Leser, die wie ich technisch nicht ganz so versiert sind, können dem Roman ohne Probleme folgen. Obwohl eine kleine Liste mit Erklärungen von Fachbegriffen durchaus ein schöner Zusatz gewesen wäre. Allerdings halten die letzten Seiten des Bandes eine kleine Lektüreliste mit aktuellen Fach-Titeln sowie Brandhorsts Erklärung zur Intention, warum er sich dem Thema gewidmet hat, bereit. „Das Erwachen“ ist nicht nur eine packende Lektüre für Technik-Freaks, sondern auch für jene, die diesen Bereich bisher weniger Beachtung geschenkt haben, sich nun aber, infiziert mit einem „Virus“, intensiver mit diesem drängenden Thema und einer der bisher noch wenig in der Science-Fiction-Literatur beachteten Frage beschäftigen wollen.

Weitere Besprechungen auf den Blogs „Buchwelten“ und „The Read Pack“.


Andreas Brandhorst: „Das Erwachen“, erschienen im Piper Verlag, 736 Seiten, 16,99 Euro

Foto: pixabay

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