Auður Ava Ólafsdóttir – Miss Island

„Die Welt ist meine Erfindung.“

Die Diskussion über die fehlende Würdigung und Sichtbarkeit von Autorinnen wird in regelmäßigen Abständen entfacht und mal mehr mal weniger intensiv geführt. Allerdings gibt es sie nicht erst seit den vergangenen Jahren. Denn schon immer haben sich Frauen als Schreibende verstanden, die mit ihren Werken wahrgenommen werden wollen. Mit ihrem preisgekrönten Roman „Miss Island“ führt die isländische Schriftstellerin Auður Ava Ólafsdóttir in die 60er-Jahre. Eine Zeit des gesellschaftlichen Aufbruchs und Wandels, in der ihre Heldin, eine junge schreibende Frau, allerdings erfährt, dass in ihrem Land eher schöne als kluge und kreative Frauen gefragt sind.

Zwei Außenseiter

Hekla, von ihrem Vater nach einem Vulkan benannt, ist auf dem Weg von dem elterlichen Hof nach Reykjavik. Während der Busfahrt liest sie „Ulysses“ von James Joyce. Im Gepäck hat sie ihre Schreibmaschine. Man schreibt das Jahr 1963. Die junge selbstbewusste Frau will sich in der Hauptstadt, der Stadt der Poeten, als Schriftstellerin einen Namen machen.  Hier trifft sie auf ihre Freundin Isey, die eifrig Tagebuch schreibt, Beobachtungen und Gedanken in Worte fasst, die allerdings eher die Rolle als Hausfrau und Mutter ausfüllt, als sich als Schreibende zu verstehen, sowie ihren Freund Jón John, Sohn eines schottischen Soldaten, den sie schon aus Kindertagen kennt und der als Homosexueller unter der Schwulenfeindlichkeit der Gesellschaft zu leiden hat. Hekla und Jón verstehen einander in einer Welt, die sie nicht verstehen will. Beide sind zu früh Geborene, Außenseiter. Während Hekla als Servierdame in einem Hotel Geld verdient, heuert Jón dann und wann auf Fangschiffen an. Sie wird von Männern sexuell belästigt und bedrängt, wegen ihrer Jugend und Schönheit zur kommenden Miss-Wahl zu kandidieren. Er wird wegen seiner Homosexualität verspottet und gedemütigt.

Eines Tages lernt Hekla den Dichter Starkaður kennen. Er jobbt in der Bibliothek und gehört einem Autoren-Kreis an, der sich regelmäßig im berühmten Café „Mokka“ zusammenkommt. Sie werden ein Paar. Dass Hekla schreibt, erfährt er erst später. Diese Erkenntnis belastet die Beziehung, da Starkaður in einer tiefen Schreibkrise steckt und sich gegenüber seiner Freundin als minderwertig fühlt. Zugleich wird Hekla, die auch die Rolle der Ich-Erzählerin einnimmt, bewusst, dass im Reich der Verlage eine talentierte Frau nicht wirklich wahrgenommen wird.

Vom Lesen und Schreiben

Dass Island ein Leseland ist, wird in dem eindrucksvollen Roman von Ólafsdóttir an vielen Stellen deutlich. In der Hauptstadt gibt es viele Buchhandlungen. In den Familien ist es schon Tradition, die großen isländischen Sagas im Buchregal stehen zu haben. Kultur, Erbe und Stolz eines spärlich besiedelten, landschaftlich einzigartigen Landes, in dem die meisten Menschen mit Landwirtschaft sowie Fisch- beziehungsweise Walfang ihr Geld verdienen. Doch auch welche Rolle das Schreiben für die Isländer hat, wird dem Leser vor Augen geführt. Nicht nur Heklas Freundin Isey, die sich freut,  wenn der Fischhändler den Fisch in eine Zeitungsseite mit Gedichten einschlägt, auch ihr Vater schreibt Tagebuch. Für seine Tochter ist hingegen das Schreiben existenziell. Es ist ihr Leben, ihre Berufung, wofür die Vielleserin auch den elterlichen Hof verlassen hat, um ihren Weg zu gehen. Sie folgt Jón schließlich nach Dänemark. Doch was sich auf den ersten Blick wie eine Befreiung, eine Emanzipation beider anfühlt, ist nur ein Ausbruch in eine Welt, in der beide verschiedene Arrangements eingehen, so dass sich der Roman ohne das berühmte Happy End, sondern vielmehr mit einer eher ernüchternd wirkenden Schlusspointe am Ende wenig hoffnungsvoll anfühlt.

„Ich darf diesen Nerv nicht verlieren, Isey. Das Schreiben. Es ist mein Rettungsring. Ich habe nichts anderes. Meine Fantasie ist alles, was ich besitze.“

Auður Ava Ólafsdóttir, 1958 in Reykjavik geboren, zählt zu den angesehensten Schriftstellerinnen ihres Landes. Sie schreibt Romane, Theaterstücke und Gedichte. Ihre Werke wurden bereits in über 25 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Für „Miss Island“ erhielt sie in Frankreich 2019 den Prix Médicis étranger für den besten ausländischen Roman des Jahres. Ein Jahr zuvor wurde sie für „Ör“ mit dem renommierten Literaturpreis des Nordischen Rates geehrt. Bereits 2016 bekam sie dafür den Isländischen Literaturpreis verliehen. Neben ihrem Wirken als Autorin lehrt sie Kunstgeschichte an der Universität Reykjavik und ist darüber hinaus als Direktorin des Unversitätsmuseums tätig.

Ihr Roman „Miss Island“, durch Episoden und kurze Kapitel sowie zahlreiche literarische Verweise und Zitate gezeichnet, ist ein Roman voller Schönheit, zarter Poesie und Liebe zum Detail, in dem zugleich ganz viel berührende Traurigkeit steckt. Ein Buch, das trotz seines Rückblicks mehr als ein halbes Jahrhundert zurück, ein Buch der Stunde ist.

Eine weitere Besprechung gibt es auf dem Blog „literaturleuchtet“.


Auður Ava Ólafsdóttir: „Miss Island“, erschienen im Insel Verlag, in der Übersetzung aus dem Isländischen von Tina Flecken; 239 Seiten, 22 Euro

Foto von Darya Kraplak auf Unsplash

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