Mathijs Deen – „Der Holländer“

„Das Meer macht keinen Unterschied zwischen den Menschen.“

Es sind keine unendlichen Weiten, aber die Weite ist hier mehr als deutlich zu spüren. Wenn das Meer sich zurückgezogen hat, der Blick gen Horizont geht, keine Gischt die Aufmerksamkeit an sich bindet. Das Watt ist eine ganz eigentümliche, karge wie wilde und von der Kraft der Gezeiten geprägte Landschaft, die indes auch ihre Tücken hat. In seinem ersten Kriminalroman weist der Niederländer Mathijs Deen ihr eine besondere Rolle zu, die mehr ist, als nur reine Kulisse zu sein.

Tatort Wattenmeer

Inmitten des Watts, auf einer Sandbank nahe der ostfriesischen Insel Borkum, stößt die Besatzung eines niederländischen Patrouille-Boots auf eine Leiche. Noch kann Opperwachtmeester Geeske Dobbenga nicht ahnen, dass ihr Ruhestand mit dieser letzten Fahrt in gewisse Ferne gerückt ist. Denn die niederländische Polizei nimmt sich des Falls an, wobei auch die deutschen Behörden darauf beharren, den Tod des Mannes im Grenzland aufzuklären, denn bei ihm handelt es sich um keinen Geringeren als den Extrem-Wattwanderer Klaus Smyrna aus Lübeck. Er war bekannt für seine langen Touren an der Seite seiner Freunde Peter Lattewitz und Aron Reinhard, die zusammen auch bei Vorträgen über ihre gemeinsame Leidenschaft berichtet haben. Mit Peter wollte das Opfer an jenem Tag vom Festland nach Borkum wandern. Was auf den ersten Blick als Unfall erscheint, wird schließlich zu einem Tötungsdelikt erklärt. Inmitten der Rangeleien zwischen der deutschen und niederländischen Polizei nimmt auch Liewe Cupido die Ermittlungen auf, die sich schwieriger gestalten als gedacht. Denn es gibt einige Ungereimtheiten: Wie konnte die Leiche mehrere Kilometer entgegen des Ebbestroms auf die Sandbank treiben? Und wo ist der Rucksack des Toten geblieben?

Deen

Nicht nur in diesem Fall steht Cupido zwischen den Fronten. Er ist Sohn eines niederländischen Fischers und einer deutschen Meeresbiologin, der in der Heimat seiner Mutter geboren, aber auf der westfriesischen Insel Texel aufgewachsen ist, seinen Vater früh verloren hat und nun in den Diensten des Bundeskriminalamtes steht. Er ist kein Mann der großen Worte, aber ein guter Lehrmeister für den jungen deutschen ambitionierten Polizisten Xander Rimbach, der im Gegenzug über eine ungewöhnliche Beobachtungsgabe verfügt. Gute Voraussetzungen für ein gutes Team, das sich jedoch mit den psychischen Problemen des Zeugen und später Verdächtigen Peter Lattewitz konfrontiert sieht, der bei der Tour seine verstorbene Frau Helen gesehen haben will und sich nach dem Tod seines Freundes auffällig verhält. Zunehmend rückt jedoch auch Aron in ihren Blickwinkel, der Dritte im Bunde, und ein Film, den die Journalistin Pauline Islander ausgräbt, zeigt, dass das Trio doch keine verschworene Gemeinschaft ist wie viele glauben wollen.

„Nachts ist man draußen schon sehr klein, so allein in diesem Netz, und unten kommt das Wasser. Oben die Sterne, dann die Wolken, die sich vor den Mond schieben, wie wenn ein Vorhang zugezogen wird. Und das Wasser kommt immer näher und fließt unter einem her, man denkt, das kann nicht viele Geräusche machen, aber das tut es. Als ob kleine Tiere angekrochen kommen, Tausende von kleinen Tieren.“

Stück für Stück rekonstruieren die Ermittler diesen obskuren Fall. Wie ein Puzzle setzt sich der heimtückische Mord in seinen Einzelheiten zusammen, wobei der Roman angesichts der spannenden Story durchaus hätte umfangreicher sein können. Zu rasch und Schlag auf Schlag geraten die Vorstellungen der Protagonisten zu Beginn. Gegen Ende kommen die Teile des Falls allzu schnell zusammen, bleibt unter anderem unklar, wie es dem Mörder gelang, alles so klug und vorausschauend zu planen, wenn die Tour doch recht spontan war, da alle nötigen äußeren Voraussetzungen sich zufällig gefügt haben und sehr selten gemeinsam auftreten?

Markante Protagonisten

Das Debüt als Krimi-Autor hat Deen, der in Deutschland mit seinen beiden Romanen „Unter den Menschen“ und „Der Schiffskoch“ (beide mare) sowie dem Sachbuch „Über alte Wege“ (Dumont) eine treue Fangemeinde aufgebaut hat, trotzdem recht vorzüglich bestanden. Vor allem sprachlich überzeugt sein neuester Streich, in dem er nicht nur teils besonders markante Protagonisten erschafft, wie den Shakespeare zitierenden niederländischen Pathologen Derk Wortelboers sowie den launigen und übereifrigen Brigadekommandeur Henk van de Wal, der in einer recht amüsanten Szene, der Kollision zweier Patrouille-Booten, unfreiwillig die Hauptrolle übernimmt. Der Roman lebt voll und ganz von seinem charismatischen grenzüberschreitenden Ermittler und seinem Helfer sowie von der besonderen Kulisse, die mit all ihrer Schönheit, aber auch ihren Gefahren eindrücklich geschildert wird.

Das Wattenmeer, das sich von den Niederlanden über Deutschland bis nach Dänemark auf einer Fläche von 11.500 Quadratkilometern und einer Länge von 500 Kilometern erstreckt, zählt seit 2014 in seiner gesamten Ausdehnung zum Weltnaturerbe. Mit seinen verschiedenen Landschaftsformen bietet es Lebensraum zahlreicher Tiere. Das Wattenmeer gilt als vogelreichste Region Europas und Station von Millionen Zugvögeln.

Eine Fortsetzung soll bereits fertiggestellt sein, auf die man gespannt sein kann. Eine Reihe rund um den wortkargen Ermittler Cupido wäre ein großes Geschenk nicht nur für alle unerschrockenen Wattwanderer und Meeresmenschen, sondern eine Bereicherung für die gesamte Krimiwelt, die ein paar stillere Helden durchaus gebrauchen könnte.


Mathijs Deen: „Der Holländer“, erschienen im mare Verlag, in der Übersetzung aus dem Niederländischen von Andreas Ecke; 272 Seiten, 20 Euro

Foto von Hendrik Schultjan auf Unsplash

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