„Verdammt, es ist ja auch der wilde Westen.“
Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Schriftsteller in den vergangenen Jahren aus den Tiefen des Vergessens gehoben und wiederentdeckt worden sind; sowohl europäische als auch amerikanische. Man denke an die Dänin Tove Ditlevsen oder die US-Amerikaner John Williams und James Baldwin. Ein Autor, der da unbedingt eingereiht werden kann und sollte, ist Thomas Savage (1915 – 2003). Mit der Verfilmung seines Romans „Die Gewalt der Hunde“ aus dem Jahr 1967 unter dem Titel „The Power Of The Dog“ und mit der deutschen Erstausgabe wird an ein Meisterwerk erinnert, dessen Lektüre unbedingt lohnt – nicht nur für Western-Fans.
Die Frau aus dem Gasthaus
Phil und George sind zwei ungleiche Brüder. Gemeinsam führen sie die Familienranch, die die Eltern vor einigen Jahren verlassen haben, um nach Salt Lake City zu ziehen und ein eher bequemeres Leben zu führen. Phil ist klug, aber empathielos, George behäbig, aber sanft. Die Burbanks gelten als vermögend und haben Verbindungen in die Politik. Während eines Rindertriebs gen Beech, einer nahe gelegenen Kleinstadt, lernt George Rose kennen. Die Witwe eines Arztes lebt allein mit ihrem Sohn im Teenager-Alter, gemeinsam führen sie ein Gasthaus. Immer wieder zieht es George zu der Frau, bis beide schließlich die Ehe eingehen – ohne das Wissen Phils. Rose kommt auf die Ranch und die Spannungen zwischen ihr und Georges Bruder beginnen. Als schließlich auch noch Roses Sohn Peter, ein stiller und in sich gekehrter, aber kluger Junge, zu den Burbank-Brüdern zieht, scheint dies das Fass zum Überlaufen zu bringen.
Phil beginnt ein intrigantes fieses Spiel, um Rose einzuschüchtern – mit Folgen. Sie leidet zunehmend unter Nervosität, Kopfschmerzen und greift schließlich zur Flasche. Heimlich leert sie die Flaschen ihres Mannes. Phil glaubt, mit einem letzten Schritt den Sieg errungen zu haben. Auch der Leser wird dies wohl erst einmal denken. Raffiniert legt Savage da eine falsche Spur aus, die Wendung am Schluss wird wohl viele überraschen.
„(…) und sie stießen auf eine Zukunft an, die so unermesslich war, dass ihm der Atem wegblieb, so unermesslich wie das Land draußen.“
„Die Gewalt der Hunde“ bietet ob der wendungsreichen und psychologisch zugespitzten Handlung eine fesselnde Lektüre, die einen in den Bann zieht. Savage zeigt dabei die vielen Seiten seiner Charaktere auf. Allen voran Phil, der viele Gegensätze in sich vereint, der schlampig gekleidet, jedoch von anderen Anstand und Anspruch, aber auch Härte verlangt und ein Geheimnis mit sich trägt. Seine Intelligenz und seine Belesenheit hätten ihn in andere berufliche Bereiche führen können. George erscheint hingegen zuerst etwas plump und schüchtern an der Seite seines dominierenden Bruders, entwickelt sich allerdings zusehends und geht eigene Wege.
Wie Kopfkino
Neben diesem psychologisch aufgeheizten Konflikt zwischen den Brüdern untereinander und dem familiären Neuzugang überzeugt der Roman als Panorama der damaligen Jahre, einer Zeit, der folgenreichen Umbrüche. Autos und Eisenbahn erobern die ländlichen Regionen. Noch immer stecken der Erste Weltkrieg und traumatische Erfahrungen in Körper wie Seele, findet auch die Vertreibung der indigenen Bevölkerung als Thema Eingang in diesen vielschichtigen Roman. Das Menschenfeindliche in Phils Wesen zeigt sich auch in dessen Abneigung gegenüber den Ureinwohnern oder weiteren Personen anderer Hautfarbe. Darüber hinaus zeichnet Savage atmosphärische Landschaftsbeschreibungen und überaus detaillierte Schilderungen des rauen und körperlich schweren Landlebens, die seinem Roman Kopfkino-Qualitäten verleihen.
Savage, 1915 in Salt Lake City geboren, hat insgesamt 13 Romane geschrieben. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit verdiente er sein Geld als Englisch-Dozent, Ranchhelfer, Schweißer und Klempnergehilfe. Er debütierte 1944 mit dem Roman „The Pass“. „The Corner of Rife and Pacific“ war Savages letzter Roman. Die Heimat, die Orte seiner Kindheit und Jugend, prägten seine Bücher. Zu seinen Themen zählten das harte Leben auf dem Land, menschliche Abgründe und Tragödien und die eindrucksvolle wie herausfordernde Landschaft im Westen der USA. Auch Homosexualität – Savage war selbst schwul, seine sexuelle Neigung war nur wenigen bekannt – findet sich in seinen Werken. Von der Kritik zwar sehr gelobt, stieß er kaum auf eine breite Leserschaft. Seit der Jahrtausendwende setzt indes eine Rückbesinnung auf sein Schaffen ein.
Ob jetzt der eine oder andere zuerst den Film oder erst das Buch kennenlernt, spielt nicht so sehr die Rolle. Sicher ist, mit dieser Verfilmung kehrt ein meisterhafter Roman zurück in die literarische Welt, eine Wiederentdeckung, die es ohne den Streifen vielleicht nicht gegeben hätte. Begrüßenswert wäre es, wenn weitere Werke des US-Amerikaners künftig neu aufgelegt beziehungsweise übersetzt werden. Von großartiger Literatur kann es schließlich nicht genug geben.
Eine weitere Besprechung gibt es auf dem Blog „Buch-Haltung“.
Thomas Savage: „Die Gewalt der Hunde“, erschienen im btb Verlag, in der Übersetzung aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel, mit einem Nachwort von Annie Proulx; 352 Seiten, 12 Euro
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