Tore Kvæven – „Eisiges Land“

„Dieses Land ist wie ein Rudel Wölfe.“

Kalt, Eis, Insel. Schlagwörter, die uns wohl unweigerlich in den Sinn kommen, wenn wir an Grönland denken. Und sicherlich fallen uns noch Inuit und Wikinger ein. In ihre Zeit und auf das riesige Eiland zwischen dem Nordatlantik und dem Nordpolarmeer führt der Norweger Tor Kvæven in seinem Roman „Eisiges Land“, mit dem er 2018 mit dem Brageprisen, dem renommiertesten Literaturpreis seines Landes, geehrt wurde.

Großariges Panorama dieser Zeit

Erstaunlich ist nicht nur der Fakt, dass es sich bei „Eisiges Land“ („Når landet mørknar“) um einen historischen Roman handelt.  Kvæven ist von Hause aus Agrarwirt sowie Schafzüchter und arbeitet auch als Lehrer. Das Schreiben war zu Beginn eher ein Hobby, nahm allerdings mehr und mehr Raum ein, wie er in einem Video erzählt. 2011 erschien sein Debüt „Hard er mitt lands lov“ über einen Wikingerzug im elften Jahrhundert nach Afrika. Sein zweites Buch nun führt nach Grönland und in die letzten Jahre des 13. Jahrhunderts. Dass der Norweger dafür mit zahlreichen Preisen geehrt wurde, verwundert nicht, erschafft er nicht nur ein großartiges Panorama dieser Zeit an diesem besonderen Ort. Er findet eine eigene Sprache für seine Geschichte. Doch dazu später mehr. Fangen wir erst einmal mit Arnar an.    

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Man schreibt das Jahr 1293: Eine Walross-Jagd soll stattfinden. Ein Gesetz besagt, dass alle Höfe informiert werden, sollten Walrösser in die Fjorde kommen. Der 15-jährige Arnar, Sohn von Vilhjalm Rågsson, geht ebenfalls an Bord eines der Boote. Die nicht ungefährliche Jagd mit Harpunen sowie Pfeil und Bogen auf die imposanten Tiere haben die Menschen reich gemacht. Elfenbein, Fleisch und Fett lassen sich aus ihnen gewinnen. Die Jagd ist erfolgreich, Arnar ein Held. Er erschlägt eines der Tier mit der Axt. Doch sein mutiger Einsatz hat Folgen. Himin-Gorm, der Häuptling der Berghöfe, und sein Sohn Hûnvarg reagieren mit Missgunst. Eine Feindschaft beginnt, die sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht.

„In der Welt, in der er lebte, und in den Träumen, die ihn beflügelten, hatte ihm die Zukunft offen gestanden. Noch hatte er nicht verstanden, dass Träume aus Luft und Menschen aus Stein sein konnten.“

Egal, was Arnar macht, um sein junges Leben eine Richtung zu geben, seine Existenz zu sichern sowie sein Glück und die große Liebe zu finden. Himin-Gorm und sein Clan stehen ihm im Weg und machen ihm das Leben schwer. Als Arnar einen eigenen Hof errichten will, erhält er keine Erlaubnis. Er lässt sich schließlich am Agnafjord nieder, übernimmt den Hof von Bergfinn, der mit seiner Familie und den Knechten Grönland in Richtung Island verlassen will. Doch die Zeit des Glücks, der wirtschaftlichen Blüte und des Friedens ist von kurzer Dauer.

Held mit Charisma

Arnars Liebe zu Eir, einem Mädchen, das er während der Walross-Jagd kennengelernt hatte und wieder begegnet, steht ebenfalls unter keinem guten Stern. Sie ist bereits Hûnvarg versprochen, dabei fühlt sie sich eher zu Arnar hingezogen. Der Unfrieden zwischen den Familien vertieft sich. Es kommt zur gewalttätigen Auseinandersetzung auf dem Blutanger, wo Arnar und Himin-Gorm jeweils die Familie und Getreue um sich scharen. Ein wie das Thing damals übliches Mittel, um Streitigkeiten zu klären.

Mit Arnar hat der Norweger hat eine charismatische, wenn auch impulsive Figur geschaffen. Ein junger ungestümer und mutiger Mann, der alles daran setzt, seine Zukunft zu sichern und Träume zu verwirklichen – wie jenen, eines Tages Amerika, das sogenannte Vinland, zu erreichen. Doch nach Erfolgen erfährt der Held immer wieder herbe Rückschläge, die ihn zurückwerfen. Auch am Schluss des tragisch endenden Buches …

„Denn sein Glaube und seine Überzeugung vom Fundament der Weltordnung, die trotz der menschlichen Schwächen und der flüchtig wechselnden Himmel immer vorhanden gewesen war und immer wieder bestätigt werden sollte, handfest und nachweislich, allein durch die Existenz der Gesetze, waren in ihm zerbrochen.“

„Eisiges Land“ bereitet nicht nur eine spannende Lektüre in einer atemberaubenden Kulisse. Man lernt viel über die damalige Zeit, über das Leben und den beschwerlichen Alltag der Menschen in einer rauen Umgebung. Das Wohl der Familien ist abhängig von Jagderfolgen, erfolgreicher Tierhaltung und Ackerbau. Holz gibt es nicht, wenn dann als Treibgut aus dem Meer, da die Handelsbeziehungen zu Island und Norwegen nahezu zum Erliegen gekommen sind. Das Christentum und der nordische Glaube stehen sich genauso gegenüber wie das Thing, ein früher Vorläufer unser heutigen Gerichte, und die Machtkämpfe der Häuptlinge, um ihre Interessen durchzusetzen. Zwischen den grönländischen Siedlern und den Inuit, die ihr Land verteidigen wollen, kommt es regelmäßig zu blutigen Auseinandersetzungen.

Zwei Hauptsiedlungen der Wikinger

Ende des zehnten Jahrhunderts begann von Island aus die Besiedlung Grönlands, zwei Siedlungen an der Westküste entstehen, die Ostsiedlung um das heutige Qaqortoq sowie um die heutige Stadt Nuuk die kleinere Westsiedlung, Vestribyggð, wo auch der Roman angesiedelt ist und die in der Mitte des 14. Jahrhunderts indes aufgegeben worden ist. Der Golfstrom sorgte für ein mildes Klima, das Ackerbau und Viehzucht ermöglichte. Mehrere Tausend Wikinger lebten auf dem Eiland. Doch im 15. Jahrhundert verschwinden sie von der Bildfläche. Weshalb, ist noch immer nicht wirklich geklärt. Theorien führen unter anderem fehlende Ressourcen, einen Klimawandel, der zu tieferen Temperaturen führte, oder die Auseinandersetzung mit den Inuit als Gründe an.

Mehrfach verweist der norwegische Autor auf den schleichenden Niedergang und das kommende Aus der Siedlung: Die Boote der Höfe sind marode. Der Weggang Bergfinns führt in eine Katastrophe. Bei Jagden und den Familienfehden besteht die Gefahr, Männer zu verlieren, die für das Wohl einer Siedlung wichtig sind. Eirs Familienhof wird von den Inuit überfallen.

Kvæven findet eine eindrückliche Sprache – für jene Zeit, für diese herbe, beeindruckende Landschaft, für seine dramatische Geschichte, in der auch immer wieder Tiere eine gewichtige Rolle einnehmen. Eine großartige Szene ist jene, in der ein Eisbär auf einen Grönland-Hai trifft. Beide, der Herrscher des Landes und der des Meeres, schwimmen durch das eisige Wasser. „Eisiges Land“ ist nicht nur großes literarisches Kino, sondern auch ein historischer Roman, der für sein Genre beispielgebend, vielleicht sogar beispiellos ist.

Eine weitere Besprechung gibt es auf dem Blog „wortmax“.


Tore Kvæven: „Eisiges Land“, erschienen im Piper Verlag, in der Übersetzung aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann; 544 Seiten, 25 Euro

Foto von Gitte Winter auf Unsplash

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