Rachel Kushner – „See der Schöpfung“

„H. sapiens braucht Hilfe. Aber er will keine.“

Wir müssen die Zeit weit zurückdrehen für diesen Roman, der in der Gegenwart angesiedelt ist. Vor etwa 40.000 Jahren existierte der letzte Neandertaler. In Europa und Asien ansässig, lebten die urzeitlichen Menschen mit dem kräftigen Körperbau und dem markanten Schädel zuletzt an der Seite ihres „Verwandten“ – unseres Vorfahrens, des Homo sapiens. Doch was wäre, wenn der Neandertaler nicht ausgestorben wäre? Wäre die Welt eine bessere – nicht Kriegen und Umweltzerstörung ausgesetzt? Dieser Frage geht Rachel Kushner in ihrem neuesten Roman „See der Schöpfung“ nach, der auf faszinierende wie eindrückliche Weise das Gestern mit dem Heute sowie Spannung mit Philosophie und Geschichte verknüpft.

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Joachim B. Schmidt – „Ósmann“

„Im Skagafjord gibt es Geistergeschichten wie Muscheln am Strand.“

Er ist ein Hüne, der nach Gammelhai stinkt und Robbenblut trinkt. Tag ein, Tag aus setzt er mit seiner Seilfähre Mensch und Tier über die Tiefen des Skagafjords. Bei Sturm und bei Sonnenschein. Im äußersten Norden Islands, dort wo die Grönlandsee das herbe Land ablöst, ist Ósmann eine Institution. Nach seinem Helden Kalmann hat Joachim B. Schmidt eine weitere besondere Gestalt zum Leben erweckt – oder sollte man vielmehr sagen: wiedererweckt.

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Backlist #21 Anne Berest – „Die Postkarte“

„Die Geister waren keine namenlosen Wesen mehr, keine Zahlen in irgendwelchen Geschichtsbüchern.“

Manchmal gibt es Zeiten, in denen besondere Erfahrungen aufeinandertreffen, die reale Erlebnisse mit Literatur und deren Lektüre verknüpfen. Es ist der 28. März, als ich mit mehr als 30 Schülern kurz vor 3 Uhr in Naumburg einen Bus besteige, der acht Stunden später und nach mehr als 700 Kilometern die südpolnische Stadt Oświęcim erreicht. Auschwitz – das ist der Ort, der heute als Symbol des Holocaust und für eine beispiellose Auslöschung von Leben gilt, der 1942 auch Ephraim und Emma Rabinovitch sowie ihre beiden Kinder Noémie und Jacques, 19 und 17 Jahre alt, zum Opfer fallen. Drei von ihnen starben in der Gaskammer, Noémie überlebte eine Typhus-Erkrankung nicht.

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Lars Elling – „Die Prinzen vom Birkensee“

„Finde den Schlüssel und verlasse das Bildarchiv. Werde sehend.“ 

Wie ein grüner Gürtel umgibt die Marka Oslo. Nördlich der norwegischen Hauptstadt breitet sich die Nordmarka aus. Ein riesiger Wald mit Hügeln und Seen – so groß wie etwa Halb-Berlin. Die beiden Brüder Arnstein und Truls werden von ihrem Vater in die Nordmarka geschickt. Nicht nur für wenige Tage, sondern für mehrere Wochen. Dort sind sie allein auf sich gestellt. Sie müssen sich ihre Nahrung selbst jagen oder fangen. Die beiden Jungen haben zueinander eine enge Bindung, sie sind Gefährten, Vertraute. 70 Jahre später, im betagten Alter, sprechen sie indes kein Wort mehr miteinander. Ein Zaun zieht sich durch das gemeinsame, einst elterliche Grundstück im Kvartsveien, das Haus ist geteilt. Und Arnsteins Enkel Filip fragt sich warum.     

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Nina Bußmann – „Drei Wochen im August“

Ein großes Haus am Meer, für drei Wochen im Sommer – und ohne einen einzigen Cent zu bezahlen. Wer würde da wohl Nein sagen. Wer jedoch zuvor den neuen Roman von Nina Bußmann „Drei Wochen im August“ liest, könnte indes schnell ins Zweifeln kommen. Denn mit der anfänglichen Idylle ist es darin schnell vorbei. Alles kommt anders, als zuvor gedacht und erhofft. Statt einer Unbeschwertheit machen sich ein gewisses Unbehagen und Spannungen breit. Dann brennt noch der Wald, verschwindet ein 13-jähriges Mädchen spurlos …

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Audrey Magee – „Die Kolonie“

„Dieses Einfache ist für die meisten nichts.“

Auf einem kleinen Ruder-Boot, einem irischen Curragh, erreicht Mr. Lloyd die Insel. Eine wacklige und magenfeindliche Angelegenheit für den Künstler aus London, der auf dem kleinen Eiland die Klippen malen will. Er wird nicht der einzige Fremde bleiben, den die Inselbewohner aufnehmen (müssen). Auch der französische Linguist Jean-Pierre Masson landet im Sommer des Jahres 1979 hier. Er will ein Buch über das irische Gälisch schreiben, um die Sprache vor dem Aussterben zu bewahren Beide Männer sind sich spinnefeind, so dass nicht nur der blutige Konflikt auf dem Festland für Spannungen auf dem nur wenige Seelen zählenden Eiland sorgt.

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