Kseniya Melnik – „Schnee im Mai“

„Die Welt fühlte sich wie eine dunkle Kiste an.“ 

Die russische Küstenstadt Magadan am Nordpazifik gibt heute fast 100.000 Menschen ein Zuhause. Ihre tragische Vergangenheit hat sie indes längst noch nicht ablegen können. Hier, knapp 6.000 Kilometer von Moskau entfernt im tiefsten Osten des riesigen Landes, befand sich eines der gefürchteten Gulag-Lager. Tausende Häftlinge errichteten Stadt und Hafen sowie die Kolyma-Trasse, deren Bau das Leben unzähliger Gefangener kostete. In Magadan geboren ist die Autorin Kseniya Melnik, die in ihrem eindrucksvollen Erzählband „Schnee im Mai“ die wechselvolle Geschichte der Stadt, aber auch die Rolle von Geschichte im Leben von Menschen in den Mittelpunkt stellt.

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Ljuba Arnautović – „Junischnee“

„Einen Menschen ohne feste Wurzeln kann nichts halten.“

Als seine Tochter Nina geboren wird, pflanzt Fjodor einem alten Brauch nach einen Baum. Statt der traditionellen Birke greift er indes fälschlicherweise zu einer Pappel. Trotzdem sorgt der Baum für Freude, für ein alljährliches wiederkehrendes Ereignis: Junischnee heißt der weiße Flaum aus Pappelsamen im russischen Sommer und zugleich der neue Roman der österreichischen Autorin und Übersetzerin Ljuba Arnautović, mit dem sie an die wechselvolle Geschichte ihrer Familie erinnert, in die sich die Ereignisse des 20. Jahrhunderts eingeschrieben haben.  „Ljuba Arnautović – „Junischnee““ weiterlesen

Julia Phillips – „Das Verschwinden der Erde“

„Die Welt war dazu da, dass die Menschen litten.“

Einst militärisches Sperrgebiet, heute Sehnsuchtsziel für Abenteuerlustige und vermutlich all jene, die eine Mischung aus Sibirien und Island suchen. Wenig ist wohl hierzulande über Kamtschatka bekannt, über jene Halbinsel mit ihren Vulkanen und Geysiren ganz im nordöstlichen Zipfel Russlands gelegen, umgeben vom Beringmeer und dem Nord-Pazifik. Man wird wohl lange suchen müssen, um sie als Schauplatz in der Literatur zu finden. Das ändert nun das eindrucksvolle Debüt „Das Verschwinden der Erde“ der Amerikanerin Julia Phillips. Darin bringt sie dem Leser die dünn-besiedelte Halbinsel mit ihren vielen Gesichtern und Geschichten näher. „Julia Phillips – „Das Verschwinden der Erde““ weiterlesen

Polly Clark – „Tiger“

„Die Natur verfügt über eine majestätische Kraft, die sich nur in eine Richtung bewegt: nach vorn.“ 

Wie viele andere Tierarten ist auch er vom Aussterben bedroht. Schätzungsweise nur noch 500 Exemplare des Amurtigers, auch Sibirischer Tiger genannt, leben auf der Welt. Die größte Katze unseres Planeten wurde gejagt. Weite Teile ihres Lebensraums in den nordöstlichen Regionen Sibiriens sind zerstört worden. Noch einmal so viele Exemplare sind in Zoos über die ganze Welt verstreut heimisch.  In ihrem zweiten Roman widmet sich die britische Schriftstellerin Polly Clark den seltenen Tieren, ihrer Gefährdung und ihrem Schutz sowie der Faszination des Menschen für die riesigen majestätischen Katzen.

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Andrej Kurkow – „Graue Bienen“

„Grau kann auch strahlend sein! Du weißt nicht viel vom Grau! Ich kann wohl zwanzig Schattierungen von Grau unterscheiden.“ 

Seit Februar 2014 wütet im Osten der Ukraine der Krieg. Die Armee des Landes, russische Truppen sowie Separatisten kämpfen gegeneinander. Die einen für den Erhalt der Ukraine in ihren jetzigen Grenzen, die anderen für die Abspaltung der Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Mittendrin: die Zivilbevölkerung. Während der Krieg kaum auf das Interesse der breiten europäischen Öffentlichkeit stößt, scheint das Thema in der Literatur angekommen zu sein. Nach Serhij Zhadans Roman „Internat“ (Suhrkamp) widmet sich das neue Werk des auch hierzulande bekannten ukrainischen Schriftstellers Andrej Kurkow mit dem Titel „Graue Bienen“ dem Geschehen in Osteuropa, konkret in der Donbass-Region.     „Andrej Kurkow – „Graue Bienen““ weiterlesen

Jan Brokken „Sibirische Sommer mit Dostojewski“

„Schreiben sei sein Schicksal.“

Sicherlich stehen in den meisten gut gefüllten und gut sortierten Bücherregalen  wenigstens eines seiner Werke. Vielleicht „Schuld und Sühne“, „Die Brüder Karamasow“ oder „Der Idiot“, vielleicht auch alle hübsch nebeneinander. Die russische Literaturgeschichte wäre wohl ohne seinen Namen und seine weltliterarischen Werke um einiges ärmer: Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821 – 1881) zählt zu den bedeutendsten Autoren seines Landes. Doch nur wenige wissen, dass seine schriftstellerische Karriere bereits an ihrem Beginn nahezu ein Ende hätte finden können und dass ein Mann und die gemeinsame Freundschaft ihn beflügelt haben. „Jan Brokken „Sibirische Sommer mit Dostojewski““ weiterlesen

Familie – Ljudmila Ulitzkaja „Jakobsleiter“

„Das Leben jedes Menschen ist ein Text.“

Was bleibt nach dem Leben eines Menschen? Das, was er geschaffen hat, die Erinnerungen jener, die ihn kannten und liebten. Sicherlich auch Fotos und womöglich auch Geschriebenes. Nach dem Tod ihrer Großmutter Marussja erhält Nora Ossetzkaja eine Weidentruhe mit Briefen und Tagebuch-Notizen ihres Großvaters Jakow, den sie in ihrem Leben nur einmal als Kind gesehen hat. Dieses Erbe auf Papier, abgestellt auf dem Balkon, gerät für einige Jahre in Vergessenheit, ehe Nora sich an die Truhe erinnert und nach der Lektüre vieles über ihren Großvater und dessen Leben, Gedanken und Gefühle erfährt. Sechs Generationen und mehr als ein Jahrhundert umfasst der neue Roman der russischen Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja „Jakobsleiter“, der eindrucksvoll davon erzählt, was Familie bedeutet und wie politische Umstände, die später Geschichte werden, auch immer wieder das Dasein der Menschen beeinflusst.      „Familie – Ljudmila Ulitzkaja „Jakobsleiter““ weiterlesen

Zwillinge – Sasha Marianna Salzmann „Außer sich“

„(…) aber Hoffnung ist ja nichts, was da ist, um erfüllt zu werden, (…).“

Was macht eine Person zu der, der sie ist? Die Familie und Sprache, Erfahrungen und Erlebnisse, gesellschaftliche wie soziale Normen, eigene oder fremde Ansprüche? Ist es nicht so, dass wir uns in stets und ständig wandeln, äußerlich wie innerlich, Häute abstreifen wie eine Schlange, überkommene Vorstellungen über Bord werfen. So wird aus Alissa Ali, aus der jungen Frau ein Mann, die Stimme wird tiefer, die Bartstoppeln sprießen. Die Heldin in dem Romandebüt der Berlinerin Sasha Marianna Salzmann „Außer sich“ befindet sich auf einer zweifachen Suche: auf der nach ihrem Zwillingsbruder Anton und nach sich selbst. „Zwillinge – Sasha Marianna Salzmann „Außer sich““ weiterlesen

Der Prozess – Michail Schischkin „Die Eroberung von Ismael“

„Die Zeit hat ein kaputtes Gewinde, sie dreht durch wie eine überdrehte Schraubenmutter.“

Die Eisenbahn verbindet nicht nur einen bestimmten Ort mit einem anderen. Sie kann vielmehr auch ein riesiges und unermessliches Land für den menschlichen Geist in einer bestimmten Weise erfassbar machen. Als in Nordamerika der Kontinent von Ost nach West besiedelt wurde, zählte der Bau der Eisenbahn-Strecke von Küste zu Küste zu einem der größten und wichtigsten Bauprojekte. Nicht anders ist es in Russland, wo die Transsibirische Eisenbahn bis heute Kultstatus genießt. Züge und Bahnhöfe spielen in „Die Eroberung von Ismail“, dem neuen Roman des russischen Autors Michail Schischkin, eine wesentliche Rolle. Doch der ist keineswegs so leicht und bequem wie eine Fahrt mit einem Zug.  „Der Prozess – Michail Schischkin „Die Eroberung von Ismael““ weiterlesen

Von Liebe & Verrat – Katja Kettu „Feuerherz“

„Das Leben war ein Spiel. Ein Zufall, ein Würfelwurf, das Ziehen von Steinen auf dem Spielbrett.“

Das Land ist unermeßlich, spannt sich über zwei Kontinente.  Russland vereint in seiner schieren Weite Kontraste wie wohl kein anderes Land der Welt. In ihrem neuen Roman „Feuerherz“ macht die finnische Autorin Katja Kettu das Riesenreich zum Schauplatz ihrer Geschichte. Im Mittelpunkt steht ein bekanntes und zugleich trauriges Thema: der Gulag, das riesige Netz aus Arbeitslagern, das sich über das gesamte Land ausgedehnt hat. Besonders interessant an dem Werk:  Kettu lässt mit ihrer Heldin Irga eine Frau aus Finnland über die entsetzlichen und unmenschlichen Zustände berichten.     „Von Liebe & Verrat – Katja Kettu „Feuerherz““ weiterlesen