Eiszeit – Zehn Lesetipps, die in die Kälte führen

„Hier draußen (…) Auge in Auge der Natur gegenüberzustehen und seinen Scharfsinn an ihren Rätseln zu erproben, das gibt dem Leben einen ungeahnten Inhalt.“  Alfred Wegener über die Arktis

Alles fing an mit einem Film, den ich einst als Kind gesehen habe. Er beschreibt den Wettlauf zum Südpol zwischen Robert Falcon Scott und Roald Amundsen. Während der Norweger als Nationalheld seines Landes und bis heute als einer der großen Entdecker des 20. Jahrhunderts gilt, hat der Engländer den Wettstreit nicht überlebt. Seitdem ich diesen Film gesehen habe, brenne ich für den weißen Planeten, die Arktis und die Antarktis, die Kälte und Europas Norden. Vor einigen Wochen fragte Buchhändler Thomas Calliebe auf Facebook in der Gruppe „Blogger & Buchhandel“ nach Lesetipps rund um das Thema, um ein Schaufenster seines Geschäftes in Groß-Gerau zu gestalten. Aus jener Lektüreliste habe ich zehn herausgesucht, um sie hier vorzustellen – zum besten Zeitpunkt. Denn es herrscht hierzulande bekanntlich Hochsommer. 

Barry Lopez „Arktische Träume“: Der Band führt den Leser in eine unwirtliche wie lebendige Welt: in die Arktis. Mehrfach hat der amerikanische Naturforscher Barry Lopez diese Gegend bereist. Mit diesem Werk wandelt er in vielen thematischen Feldern: Lopez schreibt sowohl von der eindrucksvollen Landschaft als auch von der Tier- und Pflanzenwelt. Für all jene, die sich für die Arktis interessieren, ist dieser Band ein Muss im Bücherregal, für alle anderen könnte und sollte er für ein Umdenken, einen anderen Blick auf das weiße kalte Land sorgen.

Barry Lopez „Arktische Träume“ erschien als Taschenbuch im Fischer-Verlag; 9,95 Euro

Stephan Orth „Opas Eisberg“: Seine eigene Familiengeschichte führte den Spiegel-Online-Redakteur Stephan Orth nach Grönland. Dort wandelte er auf den Spuren seines Großvaters Roderich Fick, der mit 25 Jahren 1912 an der ersten Schweizer Grönland-Expedition teilgenommen hatte. Orth erzählt auf eindrucksvolle Weise sowohl die spannende Lebensgeschichte seines Großvaters als auch von seiner eigenen Erlebnisreise, die trotz moderner Ausrüstung nicht ohne Strapazen blieb. Begleitet wird sein Bericht von einer Vielzahl faszinierende Aufnahmen.

Der Band „Opas Eisberg“ von Stephan Orth erschien im Piper-Verlag, 12,99 Euro

Carsten Jensen „Rasmussens letzte Reise“: Der dänische Autor Carsten Jensen ist in Deutschland mit seinem wunderbaren Roman „Wir Ertrunkenen“ bekannt geworden. Mit dem darauffolgenden Werk „Rasmussens letzte Reise“ führt er seinen Helden erneut aufs Meer – für ein besonderes Erlebnis. Erzählt wird die authentische Geschichte des Marinemalers Carl Rasmussen, der zweimal nach Grönland gereist war. Erneut setzt Jensen dem weiten Meer ein literarisches Denkmal – in einer poetischen wie kraftvollen Sprache. Hinzu kommt nicht nur eine eindrucksvolle Geschichte, sondern auch weise Gedanken zum Leben und der Kunst.

Der Roman „Rasmussens letzte Reise“ von Carsten Jensen“ erschien als Taschenbuch im btb-Verlag; 9,99 Euro

Kim Leine „Ewigkeitsfjord“: Man schreibt das Jahr 1782. Morten Falck verschlägt es nach Grönland. Der angehende Pfarrer und Sohn eines norwegischen Schulleiters soll als Missionar die einheimischen Inuits zum Christentum bekehren. Falck lernt den Zauber ihrer Kultur kennen und muss erfahren, wie leidvoll sich die dänische Kolonie auf das Leben der Ureinwohner auswirkt. Kim Leines Roman „Ewigkeitsfjord“ ist ein eindrucksvoller Roman, der den Leser tief in die Handlung zieht und vor allem durch eine Vielzahl an Lebensentwürfe und -geschichten beeindruckt.

„Ewigkeitsfjord“ von Kim Leine erschien im Hanser-Verlag; 24,90 Euro

Tor Bomann Larsen „Amundsen“: Er gilt als Held. Im nordnorwegischen Tromsö schaut er als überlebensgroße Skulptur hinaus auf das Meer: Roald Amundsen. Er lief mit seiner Crew zum Südpol, flog mit einem Zeppelin über den Nordpol, durchsegelte die berühmt-berüchtigte Nordwestpassage. Doch dass hinter dem norwegischen Entdecker auch eine Person mit Zweifeln und seelischen Abgründen steht, auch das schildert Tor Bomann Larsen in der gleichnamigen Biografie. Die ist bestes Beispiel dafür, wie Biografien sein müssen: packend geschrieben und zugleich Wissensquelle. Dass das Buch dann mit seinen knapp 700 Seiten zum literarischen Backstein wird, stört nicht. Vielmehr will man die Reise in die damalige Zeit, in die weiße Welt und das Leben des recht zwiespältigen Helden nicht beenden.

Die Biografie „Amundsen“ von Tor Bomann Larsen erschien im mare-Verlag; 17,90 Euro

Jean Malaurie „Mythos Nordpol“: Vorsicht! Dies ist ein Buch, das man nicht mit in den Urlaub nehmen sollte. Nicht, weil es einen beim Lesen eiskalt über den Rücken laufen könnte. Das Buch könnte eher dafür sorgen, dass man an der Gepäckabfertigung am Flughafen draufzahlen muss. Der kiloschwere und großformatige Prachtband ist für all jene ein Juwel im Bücherschrank, die die weiße Welt rund um die Pole faszinierend finden. Der französische Polarforscher und Autor Jean Malaurie, der für sein Werk mehrfach ausgezeichnet wurde, widmet sich in diesem Buch den zahlreichen Expeditionen, die in den letzten 200 Jahren zum Nordpol führten. Der Band ist reich bebildert und ein wahrer Wissensschatz zu diesem Thema.

Der Band erschien bei National Geographic Deutschland, ist bereits vergriffen und nur noch gebraucht zu erhalten.


Dan Simmons „Terror“:
An einem Maitag im Jahr 1845 beginnt für die mehr als 130 Besatzungsmitglieder der “Terror” und “Erebus” die Eiszeit. Die stolzen Schiffe der Royal Navy stechen in See. Ihr Ziel unter dem Kommando von Sir John Franklin ist die legendäre Nordwestpassage, die hoch im Norden Amerikas Atlantik und Pazifik verbindet. Doch was als erfolgversprechende Expedition mit erfahrenen Seeleuten an der Spitze beginnt, endet in einer Tragödie. Dan Simmons Roman „Terror“ erzählt dieses Scheitern, das viele Männer um ihr Leben bringt. Der Roman ist ein wahrer Pageturner und vermittelt ungemein viel Wissen rund um das Thema Schifffahrt, die Herausforderung von Reisen in die Arktis und das schwierige Leben der Inuit.

Der Roman „Terror“ von Dan Simmons erschien im Heyne-Verlag; 10,95 Euro

Jørn Riel „Das Haus meiner Väter“: Der kleine Agorajaq wächst in einem Haus auf der arktischen Baffin-Insel am Fuße des Berges Miss Molly auf. Er stammt von einer Inuitfrau ab, wer sein richtiger Vater ist, das weiß er nicht. Fünf Männer, Pete, Jeobald, Sam, Gill und Small Johnson, sowie die alte Inuit-Frau Aviaj kümmern sich um ihn. Ihre Tage vergehen mit der Jagd, den Fahrten mit den Hundeschlitten zu den ausgelegten Fallen oder Besuchen bei den Nachbarn, die meist eine Tagesreise entfernt wohnen. Neben einer wunderbaren humorvollen und mit Liebe zu den einzelnen Charakteren gezeichneten Erzählweise erfährt der Leser viel über die einzigartige Natur und das Leben im hohen Norden, das einfach ist, aber die Bewohner tagtäglich vor große Herausforderungen stellt.

Der Roman „Das Haus meiner Väter“ von Jørn Riel veröffentlichte der Unions-Verlag als Taschenbuch; 10,90 Euro


Gerard Donovan „WInter in Maine“:
 
Julius Winsome ist ein Einzelgänger. Zurückgezogen lebt er in einer Jagdhütte in den Wäldern von Maine. Die Wände des kleinen Hauses sind mit Bücherregalen tapeziert. Die Zeit der Einsamkeit verbringt Winsome mit dem Lesen. Sein einziger Begleiter ist sein Hund Hobbes. Doch eines Tage findet Julius seinen treuen Begleiter angeschossen nicht vom Haus entfernt und Winsome sinnt auf bittere Rache. Gerard Donovans Roman ist ein Meisterwerk über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Wer indes an diesem Thema kein Interesse hat, wird dieses Buch als spannenden Krimi lesen und kann sich nebenbei in eine Idylle im Norden der USA zurückziehen. Denn die bekommt kaum einen Kratzer – trotz der furchtbaren Ereignisse in ihrer Mitte.

Der Roman „Winter in Maine“ von Gerard Donovan erschien im btb-Verlag; 9,99 Euro

Eowyn Ivey „Das Schneemädchen“: Der Schnee macht aus Mabel und Jack wieder Kinder. Sacht und leise fallen die Flocken, während das Ehepaar sich mit Schneebällen bewirft, um schließlich eine Figur aus Schnee zu formen. Ein Schneemädchen entsteht – mit einem niedlichen Gesicht sowie wärmenden Fäustlingen und einem Schal. Am nächsten Tag ist die Figur zerstört, Handschuhe und Schal sind spurlos verschwunden. Doch plötzlich taucht ein Kind auf, das einsam durch den Wald streift. Zwischen dem alten Ehepaar und dem Mädchen entsteht eine besondere Bindung. Eowyn Ivey verarbeitet in ihrem Roman „Das Schneemädchen“ ein russisches Märchen. Wer fantasievolle Geschichten mag, wird dieses allseits spannende wie anrührende Buch “verschlingen”. Trotz der geschilderten Kälte des Nordens erwärmt das Buch auf eine besondere Art und Weise.

Das Buch „Das Schneemädchen“ von Eowyn Ivey erschien bei Rowohlt, 9,99 Euro

Foto: Axel/pixelio.de

25 Kommentare zu „Eiszeit – Zehn Lesetipps, die in die Kälte führen

  1. 50 % stehen in mienem Kühlschrnak und Winter in Maine ist mein absoluter Favorit… allein das Bücherregal in der Hütte und die Beschreibung, wie sich die unterschiedliche Raumtemperatur auf die Bücher auswirkt ist legendär….

    Tolle Auswahl…

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      1. Auch wenn es „nur“ ei Bilderbuch ist… Shackletons Reise erscheint im August bei NordSüd… es liegt hier und ist mehr als grandios. Artikel steht schon. Für große und kleine Abenteurer… frostig gut… ;-)

        Und der Rest deiner Empfehlungen ist notiert…

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  2. Deine Liste ist genau das richtige zu dieser Jahreszeit! Einige der Bücher kenne ich schon, die anderen werde ich mir auf jeden Fall ansehen.
    Wenn dir noch nicht kalt genug ist, habe ich auch ein paar Tipps:
    Traum im Polarnebel von Rytcheu
    Schamanenpass von Stan Jones
    und unbedingt die Romanbiografie über Alfred Wegener: Alles Land von Jo Lendle.

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    1. Vielen Dank für die Zeilen und die Lesetipps. Da werde ich gleich mal schauen. Es gibt wirklich Literatur-Perlen zu dem Thema, ich denke, dass die eisigen Regionen auch sehr inspirierend sind. Viele Grüße

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  3. Diesen Polarfimmel hege ich ebenfalls – wunderbar! Jørn Riel ist mir auch sehr ans Herz gewachsen, passend dazu würde ich unbedingt den bereits erwähnten Juri Rytchëu empfehlen (ganz besonders seinen „Teryky“).

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    1. Ja, das ist schon ein besonderer Fimmel. Ich würde auch sehr gern in diese weißen Gefilde mal reisen. Habe sie im Winter mal kurz „angekratzt“ bei einer Fahrt mit der Hurtigrute. Da ging es in die Barentsee bis nach Kirkenes Polarlicht inklusive. Deine Empfehlung werde ich auf meine Wunschliste setzen. Vielen Dank dafür!

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  4. Eine schöne Auflistung. „The Snow child“ ist wirklich ein herrliches Buch. Im kalten Alaska und doch voller menschlicher Wärme. Ich habe es sehr gerne gelesen.
    „Terror“ liegt noch auf meinem gedanklichen SUB. Ich hatte es schon einige Male in der Hand, aber noch ist es nicht mitgekommen.
    Ein weiteres Buch, das ich in der Richtung empfehlen kann, ist von Christoph Ransmayr „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“. HIer geht es um das Schicksal einer ungarisch-österreichischen Nordpolexpeditionm die um 1873 unterwegs war.

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    1. Vielen Dank für deine Zeilen und deinen Lesevorschlag. Der Titel ist mir bekannt, ich habe das Buch allerdings noch nicht gelesen. Von Ransmayr hat mir vor kurzem „Atlas eines ängstlichen Mannes“ sehr gefallen.

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      1. Den Titel muss ich mir merken.
        Ich habe Ransmayr dank meines Germanistikstudiums entdeckt. Eine Professorin hat es uns während einer Vorlesung empfohlen. Ein Grund für mich es natürlich zu lesen.

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  5. Eine interessante Auswahl mit überraschenden Anregungen.
    Ich würde gerne noch »Tage des letzten Schnees« von Jan Costin Wagner (Verlag Galiani) hinzufügen. Wie immer bei Wagner deutlich, deutlich mehr als nur ein Krimi. lg_jochen

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    1. Vielen Dank für deinen Kommentar und den Hinweis auf Wagner. Jetzt sind schon einige interessante Lesevorschläge dazugekommen. Ich mag Krimis sehr, die mehr sind als nur Polizeigeschichten und/oder die Suche nach dem Mörder erzählen. Ein großes Werk ist auch das neue Buch von Friedrich Ani. Besprechung wird folgen. Viele Grüße

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