Krieg – Serhij Zhadan „Internat“

„(…) du lässt die Welt der Lebenden hinter dir und tastest dich vor, bis du auf etwas Schreckliches stößt.“

Literatur erzählt und erinnert, lenkt oftmals auch den Fokus auf ein Thema, ein Land, ein Ereignis, das von der Öffentlichkeit nahezu vergessen wird und meist nur in einigen Randmeldungen in den Medien auftaucht. So hat der amerikanische Autor Anthony Marra mit seinem Roman „Die niedrigen Himmel“ über den Krieg in Tschetschenien geschrieben, so widmet sich  Serhij Zhadan mit seinem neuesten Roman „Internat“ dem seit 2014 währenden bewaffneten Konflikt zwischen von Russland unterstützten Milizen, regulären russischen und ukrainischen Truppen sowie Freiwilligenmilizen im Osten seines Heimatlandes, genauer gesagt im Donbass-Gebiet. Das Buch führt den Leser aufs Dramatischste vor Augen, wie tiefgreifend der Krieg das Leben der Bevölkerung beeinflusst. 

Rauch, Blut, Minen

Dabei sind es nur wenige Tage, von denen der Roman erzählt. In jener Zeit macht sich Pascha auf den Weg, seinen Neffen Sascha aus dem Internat abzuholen. Es ist Januar, es sind Winterferien und eben auch Krieg. Pascha unterrichtet an einer Schule die ukrainische Sprache, von Krieg und Politik will er nichts wissen. Er zögert, als er gebeten wird, den 13-jährigen Sohn seiner Schwester nach Hause zu bringen. Trotzdem begibt er sich auf eine Tour – zu Fuß, mit dem Taxi, mit dem Bus. Je nachdem, was gerade zur Verfügung steht, um einige Kilometer oder nur Hunderte Meter sicher hinter sich zu lassen. Denn die Stadt ist im Ausnahmezustand. Zerstörte Häuser sowie zurückgelassene Check-Points und allerhand militärisches Gerät künden von Krieg und Gewalt. Es liegt ein Geruch von Rauch und Blut in der Luft. Der Boden ist von Minen verseucht.

Unterwegs zu sein, heißt es auch, sich in extreme Gefahr zu begeben, womöglich den nächsten Tag, die nächste Stunde nicht zu überleben. Pascha begegnet auf seinem Weg zahlreichen Menschen: Peter, den Journalisten, Frauen und Männer, die in einem Bahnhof sowie einem Keller Zuflucht suchen. Im Internat trifft er auf die Direktorin Nina und Sportlehrer Valera. Das Schulgebäude gleicht einem „lost place“. Explosionen erschüttern die Umgebung, die Fenster sind zerstört oder mit Sperrholz verrammelt, Anwohner versorgen die wenigen Schüler und Lehrer, die noch im Internat verblieben sind, mit Essen. Paschas Rückweg gestaltet sich schwieriger, gefährlicher als der Hinweg. Sie sind zu zweit, die Lage in der Stadt ist unsicher. Die Front scheint sich verschoben zu haben. Auch Begegnungen mit Soldaten bleiben nicht aus. All jene Erlebnisse und zufällige Zusammentreffen verändern Pascha. Zuletzt ist es Sascha, der berichtet.

btr

Zwischen all diesen dramatischen weil detailreichen und überscharf gezeichneten Bildern der immensen Zerstörung und Gewalt, die Zhadan mit herausragender Sprachkraft entstehen lässt, und der daraus resultierenden Anspannung infolge der Todesgefahr, finden sich Dialoge, die sich mit der Rolle und Verantwortung jedes Einzelnen, in dessen Heimatland ein Krieg ausbricht, auseinandersetzen. Schon vor seinem Weg ins Internat ist Pascha ein Gezeichneter, seine Frau hat ihn verlassen, seine Hand ist versehrt, so dass er für einen Dienst in der Armee nicht geeignet ist. All das wird in kurzen Rückblicken erzählt. Ist er zu Beginn noch unsicher und wird er beispielsweise unfreiwillig Anführer einer kleinen Gruppe von Menschen, die durch das Kriegsgebiet ziehen, nehmen seine Erfahrung und sein Mut mit der Zeit zu, verwandelt er sich aus einem passiven Beobachter der Geschehnisse in einen aktiven Protagonisten, der seinen Neffen und sich selbst retten will.

„Die Stadt ist nicht zu sehen, aber von dort, wo sie liegt, steigt schwarzer Rauch auf. Schon seit gestern steigt er auf, als wäre irgendwo die Erde aufgebrochen und etwas ganz Übles dringe heraus, und keiner weiß, wie man dieses ganz Üble aufhalten könnte, weil niemand weiß, wie es so weit kommen konnte, dass die Erde aufgebrochen ist und diese ganze Schwärze ausstößt, die jetzt über den Januarhimmel kriecht und alle Öffnungen und Spalten füllt.“

Zhadan beleuchtet in seinem Roman deutlich, wie Krieg den Alltag der Menschen beherrscht, jeder Bereich eingenommen wird, nichts und kein einziges Leben davon unberührt bleibt. Sogar eine Schule wird zu einem Ort des Krieges, als Soldaten verwundete Kameraden dort unterbringen. Und die Altersspanne zwischen den Uniformierten ist groß,  da sowohl Jugendliche als auch bereits ergraute Männer in den Diensten einer Armee oder Freischärlertruppen stehen. „Internat“ erzählt, wie der Krieg die Menschen verwandelt, wie zu Angst auch Hass kommt, dass es allerdings neben Misstrauen und Ausbeutung auch Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit gibt. Ein kleines, helles Zeichen in einer dunklen und schrecklichen Zeit.

Preis der Leipziger Buchmesse 2018

Die beiden Übersetzer des Romans, Juri Durkot und Sabine Stöhr, erhielten den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse in dem Bereich Übersetzung. In der Laudatio heißt es: „Lebendiger als in diesem Roman kann man vom Krieg nicht erzählen, lebendiger kann eine Übersetzung nicht sein. Sabine Stöhrs und Juri Durkots Schattierungen der Düsternis sind von großer Schönheit.“ Zur Preisvergabe hatte das Übersetzer-Duo den Autor, der zu den bekanntesten Kunstschaffenden seines Landes zählt und unter anderem auch als Musiker auftritt, mit auf die Bühne genommen, um gemeinsam den Applaus und die verdiente Ehrung entgegenzunehmen. Sein meisterhafter und berührender Roman erinnert an vielen Stellen an eine Dystopie à la „Die Straße“ von Cormac McCarthy, berichtet allerdings – und das ist das immer wieder Erschütternde daran – von der puren Realität, selbst wenn diese Geschichte Fiktion ist. Diesen Krieg gibt es – mit all seiner Wucht, seiner unumkehrbaren Zerstörung von Gut und Menschenleben; und geschieht nahezu ausgeblendet und fern der öffentlichen Aufmerksamkeit, wie viele andere aktuelle Kriege.

Weitere Besprechungen gibt es auf den Blogs „Muromez“ und „literaturleuchtet“.


Serhij Zhadan: „Internat“, erschienen im Suhrkamp Verlag, in der Übersetzung aus dem Ukrainischen von Juri Durkot und Sabine Stöhr; 300 Seiten, 22 Euro

Foto: pixabay

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