Im Duett #1: Sebastian Barry – „Tausend Monde“ & „Ein langer, langer Weg“

„Es war, als sei jedes Herz sprachlos.“ (Aus: „Tausend Monde“) 

Wenn mein Blick an meinen Bücherregalen entlangstreift, fällt mir auf, wie viele Autoren es in meinem Bestand gibt, von denen ich gleich mehrere Bücher besitze. Mit der Zeit entwickelt man ja bekanntlich so gewisse Lesevorlieben und sammelt die Werke von geschätzten Autoren. Dieser Beitrag soll Auftakt einer neuen Blogreihe sein, in der ich ein jüngeres sowie ein älteres Buch eines ausgesuchten Autors vorstellen will. Die Serie „Im Duett“ soll allerdings nicht die Reihe „Backlist lesen“ ersetzen. Den Auftakt macht der Ire Sebastian Barry.

Eingeschworene Familie

Mit seinen Romanen „Ein langer, langer Weg“ und „Tausend Monde“, beide habe ich auch hintereinander gelesen, reiht er sich nunmehr in die Liste meiner Lieblingsautoren ein. Ich lernte ihn vor einiger Zeit mit seinem Roman „Tage ohne Ende“ (2018) kennen. Erzählt wird darin von einem besonderen weil besonders mit einander eng verbundenen Trio: von den homosexuellen Unionssoldaten Thomas McNulty und John Cole, die das Indianermädchen Winona,  Nichte des gefürchteten Sioux-Häuptlings Caught-His-Horse-First aus dem Stamm der Lakota, aufnehmen, nachdem ihre Familie getötet worden ist. Sie bilden eine eingeschworene Gemeinschaft, die die Barrieren von gesellschaftlichen Normen überwinden. Gemeinsam leben sie auf einer Farm, nachdem ihre Weg sich dann und wann auch getrennt haben. Mit „Tausend Monde“ hat Barry nun eine Fortsetzung geschrieben. Darin schildert Winona, mittlerweile 17 Jahre alt,  frühere Geschehnisse und aktuelle Ereignisse aus ihrer ganz persönlichen Sicht, der Text erscheint wie ein einziger Erzähl- und Erinnerungsstrom, der zwischen unterschiedlichen Orten und Zeitebenen wechselt.

Der Leser ist mittendrin in den 1870er-Jahren in Tennessee, wo die Folgen der menschenverachtenden Sklaverei, der blutigen Vertreibung der indigenen Bevölkerung und des Bürgerkriegs noch deutlich zu spüren sind und unter denen die Familie und ihre Freunde auf der Farm zu leiden haben. Sowohl Winona, als indianische Frau, als auch der Farmarbeiter Tennyson, ein einstiger Sklave, werden Opfer von brutaler Gewalt. Die Täter werden nicht verfolgt, Recht und Gesetz stehen nicht auf ihrer Seite, vielmehr haben sie keine Rechte und werden in der Gesellschaft als „Nichts“ angesehen; dieses sehr kleine Wort taucht häufig in dem Roman auf. Nur der Entschluss, die Dinge selbst „zurechtzurücken“, koste es, was es wolle und kurzerhand Rache zu nehmen, scheint der einzige Ausweg zu sein, um Gerechtigkeit einzufordern. Winona, die als Gehilfin bei dem angesehenen Anwalt Briscoe arbeitet und nach einer zufälligen Begegnung mit Peg eine besondere Liebe erfährt, begibt sich mehrfach in Gefahr. Ihre indigene Herkunft sowie die enge, auch durchaus spirituelle Beziehung zur Natur beschäftigen sie darüber hinaus sehr.

Drei Jahre des Lebens auf dem Schlachtfeld

„Ein langer, langer Weg“, kürzlich bei Steidl in der neuen Taschenbuch-Reihe erschienen,  führt indes nach Irland und Belgien, wo der Erste Weltkrieg tobt. Willie Dunne, 18 Jahre alt und Sohn eines geschätzten Polizisten, meldet sich freiwillig, da er wegen seiner geringen Körpergröße nicht in den Polizeidienst aufgenommen wird, aber trotzdem den Respekt seines Vaters erhofft.  Drei Jahre seines noch jungen Lebens verbringt der junge Mann mit der schönen Stimme in Schützengräben und auf Schlachtfeldern fern der Heimat. Er sieht das mörderische Grauen leibhaftig, verliert zahlreiche enge Kameraden an seiner Seite. Ungeschönt beschreibt Barry das Leiden der einfachen Soldaten, die Zerstörung von Land und millionenfachen Leben und die Grausamkeiten des maschinellen Krieges, in dem ein Einzelner ein Nichts ist, an Gift qualvoll erstickt oder von Granaten zerfetzt wird. Eine Existenz, die Vergangenheit wie Zukunft eines Menschen mit seinen Fähigkeiten und Eigenschaften, wird binnen einer Sekunde für immer ausgelöscht. Gleichzeitig beschreibt Barry in seinem bereits 2005 erschienenen und damals für den renommierten Booker-Prize nominierten Roman, wie Irland zudem zerrieben wird von innenpolitischen Auseinandersetzungen um die Unabhängigkeit der grünen Insel.

„Dass die Natur des Menschen nie den Erwartungen entsprach und dennoch beschworen werden konnte, um die dunklen Bereiche des Lebens zu erhellen. Die Schwierigkeit, am Leben zu sein, an einer Stätte des Friedens und an einer Stätte des Krieges.“

Mit beiden Werken hat der Ire unvergessliche Helden erschaffen, deren jeweiliger Lebensweg und Schicksal lange im Leser nachklingen werden. Darüber hinaus erinnert der Schriftsteller daran, dass sogar in existenz- und lebensbedrohlichen Zeiten des Krieges und der Unterdrückung immer noch Möglichkeiten existieren, Hilfsbereitschaft, Menschlichkeit und Liebe, rundum das Gute und Warme im Menschen, anderen zuteil werden zu lassen. Barry setzt der Härte und Gewalt seine poetische Sprache und seine eigene intensive Zuneigung zu seinen Figuren entgegen. Beide Romane sind ergreifend und erschütternd und voller sprachlicher Schönheit und Melancholie.

Barry, 1955 in Dublin geboren, zählt zu den bekanntesten und erfolgreichsten Schriftstellern Großbritanniens. Zweimal erhielt er bereits den Walter Scott Prize,  mit dem der beste historische Roman gewürdigt wird, 2012 für seinen Roman „Mein fernes, fremdes Land“ sowie 2017 für „Tage ohne Ende“. Zudem war er mehrfach nominiert für den Booker Prize.

Weitere Besprechungen des Romans „Tausend Monde“ gibt es auf den Blogs „Sounds & Books“ sowie „AstroLibrium“.


Sebastian Barry: „Tausend Monde“ und „Ein langer, langer Weg“, beide in der Übersetzung aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser und erschienen im Steidl Verlag

Foto von Jp Valery auf Unsplash

5 Kommentare zu „Im Duett #1: Sebastian Barry – „Tausend Monde“ & „Ein langer, langer Weg“

  1. Ich schleiche ja schon länger neugierig vor allem um „Tausend Monde“ herum und werde es mir wohl anschaffen, so gut, wie das hier klingt. Vielen Dank außerdem, dass hier ein irischer Autor empfohlen wird. (Die Frage ist, ob man über ihn sagen sollte, dass er ein Schriftsteller aus „Großbritannien“ ist?? Oder ist das in Irland inzwischen alles überwunden? Im Norden wohl eher weniger … ).
    Vielen Dank für diese Empfehlung und herzliche Grüße,
    die Flocke

    Gefällt 1 Person

    1. Vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich kann Dir das Buch sehr ans Herz legen, würde Dir, sofern Du es noch nicht gelesen hast, allerdings die Lektüre des Vorgängerromans empfehlen. Barry ist in Dublin geboren, also in der Hauptstadt der eigenständigen Republik Irland. Viele Grüße und sehr gern geschehen

      Gefällt 1 Person

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