„Künstler zu sein ist das Herrlichste von allem. Künstler kann jeder werden, der will.“
In der dänischen Malerei nimmt Kristian Zahrtmann (1843 – 1917) eine Sonderstellung ein. Er ist Künstler und zugleich Mentor, der seine Erfahrungen an seine zahlreichen Schüler weitergibt. Mit seinen Bildern geht er eigene Wege, als er sich von gewissen Traditionen und dominierenden Stilen verabschiedet, um anderen wieder neues Leben einzuhauchen. In ihrem Roman „Adam im Paradies“ widmet sich die dänische Schriftstellerin Rakel Haslund-Gjerrild Zahrtmanns Leben, Schaffen und seiner Zeit. Im Mittelpunkt ein großer Skandal: 1906/07 stehen mehrere Männer wegen ihrer Homosexualität vor Gericht. Denn erst 1930 wird in Dänemark der Paragraf 177 des Allgemeinen bürgerlichen Strafrechts, der „Umgang wider die Natur“ unter Strafe stellt, aufgehoben.
Ein Soldat als Adam
Ob Zahrtmann selbst schwul war, kann bisher noch nicht eindeutig nachgewiesen werden. Einige seiner Gemälde mit homoerotischen Motiven, die auch als Kommentar auf die Skandal-Prozesse in seinem Heimatland gedeutet werden, seine Suche nach gutaussehenden männlichen Aktmodellen für seine Arbeiten und seine Nähe zu jüngeren Künstlern sprechen allerdings eine andere Sprache. Eine solche Begegnung wird auf den ersten Seiten des Romans beschrieben: Zahrtmann lernt in einem Zug einen ausgemusterten Soldaten kennen. Er nennt ihn Adam. Der junge Mann bildet die Vorlage für sein späteres Gemälde „Adam im Paradies“, das 1914 fertiggestellt wurde, sich heute im Privatbesitz befindet und auch in dem Buch abgebildet ist. Es sind die letzten Lebensjahre des Malers. Seine Villa „Casa d’Antino“, benannt nach dem italienischen Ort, an dem er sich mehrfach aufhält und eine Künstlerkolonie gründet, hat sich in einen Garten Eden verwandelt. Ein Meer aus Blüten sorgt für einen Duftrausch, Haus und Garten in Frederiksberg nahe Kopenhagen bilden eine farbenprächtige mediterrane Oase.
In den Kapiteln des Romans, jeweils benannt nach einem Werk Zahrtmanns, begegnet der Leser dem Maler, der als Ich-Erzähler von seiner Kunst und seinem Leben berichtet und zugleich zurückblickt – auf die Kindheit, als der Pfarrerssohn Vilhelm sein engster Freund ist und sein jüngerer Bruder Carl stirbt. Er selbst hält sich für ein hässliches Kind, im Haus in der italienischen Künstlerkolonie, wo alle Künstler mit einem Wappen an einer Wand symbolisch dargestellt werden, weist ein Bornholmer Knabenkraut auf Zahrtmann. Prägende Ereignisse sind der Tod seines Schülers Anders Trulson und des bekannten dänischen Journalisten und Autor Herman Bang, der wegen seiner Homosexualität in Dänemark angefeindet und isoliert wird und tragischerweise auf einer seiner Vortragsreisen in den USA während einer Zugreise von New York nach San Francisco einen Schlaganfall erleidet und später in einer Klinik in Utah stirbt.
„Nur die Freuden und die kleinen Sorgen sind zum Teilen da, das Leben muss man allein tragen. Ich schaue hinunter auf meine Pantoffeln, die mit Resten silberartiger Seidenfäden übersät sind, eine Handvoll glitzernder Grashalme, während ich dem Echo von Valdemars Schritten im Treppenhaus lausche.“
Wie die Schichten eines Gemäldes liegen in dem Roman mehrere Zeitebenen übereinander, die sich nicht klar voneinander trennen lassen, die ineinanderfließen, wenn der Ich-Erzähler, nunmehr in die Jahre gekommen, über Zeit und Vergänglichkeit, die Schönheit der Dinge sowie den Unterschied zwischen Sehen und Erkennen sinniert. Historische Dokumente wie Gesetzestexte und Vernehmungsprotokolle sowie Auszüge aus Zeitungsartikeln durchbrechen die Erzählung und geben Einblicke in die damaligen Geschehnisse um den sogenannten Sittenskandal, bei dem unter anderem der ehemalige Polizist Carl Hansen angeklagt wurde. Das letzte historische Dokument gibt einen Eindruck von Zahrtmanns Nachlass in Form einer Auflistung seines Besitzes – von Geschirr und Möbeln bis hin zu Kleidung und Bildern.

So wie die Autorin in ihrem Roman Zahrtmann porträtiert mit all seinen Ansichten und Eigenheiten – so schenkte er jedem Besucher seiner Villa eine Orange zum Abschied -, so gibt ihr Buch auch spannende Einblicke in die damalige Zeit. Neben dem Verweis auf die Strafprozesse steht dabei vor allem die Kunstszene im Mittelpunkt. Große Namen werden in einem Kapitel genannt, das in das Panoptikum des Vilhelm Pacht führt, das die damaligen Berühmtheiten aus Kunst, Kultur und Politik versammelt. Dabei ist der Zahrtmann nicht unbedingt ein Mensch, dem jegliche Sympathien zufliegen. Mit seiner Haltung, dass nur Männer die Eignung zu einem großen Künstler haben, und mit seinem kühlen, ab und an auch abfälligen Umgang gegenüber seiner langjährigen Haushälterin Bodil Marie Hessellund, Frau des Künstlers Hans Andreas Hessellund, wird er wohl nicht nur bei weiblichen Lesern für einiges Kopfschütteln oder gar Unmut sorgen.
Mehrere Jahre hat die dänische Autorin an ihrem Roman gearbeitet. Ihre Recherchen sind umfangreich. Grundlage für die Erzählung bilden vor allem Zahrtmanns Briefe, wie jene an seinen Freund und Vertrauten Valdemar Neiiendam. Auch die Briefe der Fünen-Maler, unter denen sich Schüler Zahrtmanns befanden, zählt Haslund-Gjerrild als Quelle auf. 1988 geboren, debütierte sie 2020 als Romanautorin mit ihrem Buch „Alle himlens fugle“. Für „Adam im Paradies“ war sie für den Literaturpreis des Nordischen Rates, einem der renommiertesten Literaturpreise Skandinaviens, nominiert. In der großartigen Übersetzung von Andreas Donat hat der auf queere Literatur spezialisierte Albino Verlag mit Sitz in Berlin nun einen literarischen Schatz gehoben, der auch hierzulande Aufmerksamkeit erhalten sollte. Von sowohl jenen Lesern, die sich für queere Themen interessieren, als auch jenen, die mehr über Kunst und Kunstgeschichte erfahren wollen.
sprachlich meisterhaft
Dabei überzeugt Haslund-Gjerrilds Roman nicht nur inhaltlich mit einer eindrucksvollen Vielschichtigkeit an Gedanken und Themen. „Adam im Paradies“ ist auch sprachlich ein Meisterwerk. Der Dänin gelingt es, mit sehr viel Sprachgefühl, Wortreichtum und Vorstellungsvermögen Orte unglaublich bildhaft und angefüllt mit Farben und Gerüchen eindrücklich zu beschreiben und ihnen eine gewisse Atmosphäre zu verleihen. Ihr Roman ist große Literatur, die die symbiotische Nähe zur bildenden Kunst sucht – und auch findet.
Rakel Haslund-Gjerrild: „Adam im Paradies“, erschienen im Albino Verlag, in der Übersetzung aus dem Dänischen von Andreas Donat; 330 Seiten, 26 Euro
Foto von David Clode auf Unsplash
Kunst muss
nicht jeder können
das eigene Leben
durch die Höllenfahrt
bis an das Ende
durchzuhalten
ist mehr als genug
LikeLike