Erbe und Erinnerung – Daša Drndić „Belladonna“

„War es Plinius, der schrieb, nichts sei so zerbrechlich wie die Erinnerung, diese zwielichtige Fähigkeit, die den Menschen aufbaut und zerlegt?“

Es muss nahezu schicksalhafte Momente geben. Es kann nicht anders sein. Lange stand der Roman „Sonnenschein“ von Daša Drndić auf meiner Wunschliste. Vor wenigen Monaten entdeckte ich ihn schließlich in einem Erfurter Buchladen. Nichtsahnend, dass es bald einen neuen Roman der kroatischen Schriftstellerin in deutscher Übersetzung geben wird. „Belladonna“ heißt dieses Buch. Der Titel verweist auf die gleichnamige Pflanze, auch unter dem Namen Schwarze Tollkirsche bekannt, die am Ende der Handlung in einer Szene eine Rolle spielen wird. Doch der Roman, der auf beeindruckende Weise Fiktion mit Realität vermischt, widmet sich nicht der Botanik, sondern der Erinnerung – in all ihren Formen und ihrer immensen Bedeutung – sowie der wechselvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts. „Erbe und Erinnerung – Daša Drndić „Belladonna““ weiterlesen

Obsession – Lea Singer „Die Poesie der Hörigkeit“

„Kein undurchsichtiger als Benn.“

Sie hat geliebt und gelitten. Ihr Leben, eingezwängt zwischen namhaften Männern, war ein zügelloses und unstetiges. Mopsa Sternheim ist zwölf, als sie Gottfried Benn, Dichter und Arzt, kennenlernt. Es sollte eine ihr Leben prägende Begegnung sein. Fortan himmelt sie ihn und seine Gedichte an, ohne ihm wirklich nahe zu kommen, da stets auf Abstand gehalten. Lea Singer erzählt in ihrem neuen Roman „Die Poesie der Hörigkeit“ vom Leben dieser Frau, die stark war und sich gleichzeitig selbst doch so ausgeliefert hatte.   „Obsession – Lea Singer „Die Poesie der Hörigkeit““ weiterlesen

Brief als Waffe – Kressmann Taylor „Adressat unbekannt“

Es ist ein kleiner leichter Band. Anthrazitfarbene Leinenoptik. Ein Briefumschlag ziert das Cover. Eine Gestaltung, die schlicht, aber wiederum markant erscheint. Gerade mal 67 Seiten umfasst „Adressat unbekannt“ von Kressmann Taylor. Doch der Roman ist ein Werk mit extremer Wirkung, das von einer besonderen Geschichte erzählt und selbst Geschichte geschrieben hat und viel länger wirkt als der Leser darin versunken ist. Die Neuausgabe des Verlags Hoffmann und Campe als Sammleredition des erstmals 1938 veröffentlichten Werkes könnte wohl zu keinem geeigneteren Zeitpunkt erscheinen.   „Brief als Waffe – Kressmann Taylor „Adressat unbekannt““ weiterlesen

Zwei-Mann-Krieg – Nicholas Shakespeare „Broken Hill“

Literatur mit Wert vereint das Besondere mit dem Allgemeinen. Sie erzählt eine erstaunliche Geschichte, die über sich hinausweist – in ihrer Allgemeingültigkeit. Selbst wenn im Roman „Broken Hill“ des englischen Autors Nicholas Shakespeare die Jahre 1914 und 1915 beschrieben werden, hätte das Geschehen auch in unseren Tagen handeln können, in denen Fremden- und Islamfeindlichkeit mehr denn je spürbar sind und die Frage entsteht, ob Demütigungen und Erniedrigungen nicht zu fürchterlichen Ereignissen führen können.  „Zwei-Mann-Krieg – Nicholas Shakespeare „Broken Hill““ weiterlesen

Schuld – Siegfried Lenz „Der Überläufer“

„Wenn ein Böser zu schwach ist, sucht er sich andere Böse. Das beste Einverständnis der Welt herrscht unter Bösen, weil das Böse unmissverständlich ist.“

Romane erzählen Geschichten. „Der Überläufer“ von Siegfried Lenz (1926 – 2014) ist selbst zu einer Story geworden und sorgte für eine der wohl interessantesten literarischen Begebenheiten der letzten Jahre. Große Schlagzeilen landauf landab inklusive. Das postum erschienene Werk ist nach „Es waren Habichte“ der zweite Roman von Lenz und war über Jahrzehnte im Nachlass „verschollen“, den der Autor dem Literaturarchiv Marbach vermacht hatte. Der Band war unter anderem nicht veröffentlicht worden, weil er das Thema Desertion aufgreift. „Schuld – Siegfried Lenz „Der Überläufer““ weiterlesen

Abschied – Siegfried Lenz „Das Wettangeln“

Und rums. Da liegt er – mit der Nase im Ufersand, über ihn wie ein kleiner Berg der Rollstuhl. Ein bronzefarbenes Horn und der Hut schweben noch in der Luft. Henry Weiß ist gestürzt. So hat der Illustrator Nikolaus Heidelbach die erste Szene in der Erzählung „Das Wettangeln“ von Siegfried Lenz in Farbe festgehalten. Es ist ein ganz besonderes Werk, weil das letzte im Schaffen des großen deutschen Autors, der am 7. Oktober 2014 verstarb.  „Abschied – Siegfried Lenz „Das Wettangeln““ weiterlesen

In der Höhle – José Saramago „Hellebarden“

9783455404173

„Gedanken, die man insgeheim denkt, sollten unausgesprochen bleiben, selbst wenn sie auf der Hand liegen.“

Romanfragmente haben etwas Zwiespältiges an sich. Posthum erschienen, erinnern sie auf besondere Weise an ihren Schöpfer und sind mit dessen Tod eng verbunden. In ihrer Unvollständigkeit sind die Werke für den Leser jedoch keine einfache Lektüre. Ohne den alles erklärenden Schluss fehlt der wichtigste Teil, in dem alle Fäden zusammenkommen. Doch Fragmente haben auch Erfolg. Franz Kafkas Roman „Das Schloss“, Wolfgang Herrndorfs Werk „Bilder deiner großen Liebe“ beweisen es. Mit „Hellebarden“ hat der Verlag Hoffmann und Campe das letzte Werk des Literaturnobelpreisträgers José Saramago in einem besonders liebevoll gestalteten Band der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. „In der Höhle – José Saramago „Hellebarden““ weiterlesen