Ben Smith – „Dahinter das offene Meer“

„Es gibt kein Raus.“

Es ist eine eintönige Welt. Nichts als Meer, Wasser bis zum Horizont und darüber hinaus. Hunderte Windräder strecken sich in die Höhe. Ein Wald aus Metall, der allmählich rostet und verfällt, ein letztes, indes brüchernes Bollwerk der modernen Zivilisation. Wo einst Land war, ist nur Wasser. Mittendrin: eine Plattform. Das Zuhause eines alten Mannes und eines Jungen. Gemeinsam reparieren sie die Windräder. Eine nahezu sinnlos erscheinende Arbeit. Denn Ersatzteile gibt es nicht, nagen Salz und Wasser an den Konstruktionen. Stetig sinkt die Energieleistung. Im Meer schwimmen mehr Plastik-Teile als Fische. Es ist ein beklemmendes Szenario, das der britische Autor Ben Smith in seinem Debüt „Dahinter das offene Meer“ beschreibt.

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Damir Karakaš – Erinnerung an den Wald

„Dann stelle ich mir vor, dass es auch die nicht mehr geben wird, die so gesund sind, dass sie sogar Astronauten sein können, dass wir vor dem Weltuntergang auf der Erde alle gleich sind, und das Atmen fällt mir viel leichter.“

Die Schwächeren werden in eine raue Welt gestoßen. Sie müssen jeden Tag kämpfen. Um sich den Herausforderungen zu stellen, um den Erniedrigungen zu begegnen, um sich selbst und das innere Wertgefühl oder den Rest, der davon im Laufe der Zeit übriggeblieben ist, zu beschützen. Der Junge im Roman des kroatischen Schriftstellers Damir Karakaš ist herzkrank, sein Vater versteckt seine Unzufriedenheit ob der körperlichen Schwäche und Magerkeit seines Sohnes nicht. Und die Welt, in der der Junge an der Seite seiner Eltern, der jüngeren Schwester und der Großmutter heranwächst, offenbart sich auch ohne die Gefühlsausbrüche des Vaters, die in den Satz „Warum schafft Gott so etwas, was nicht zum Leben taugt“ gipfeln, als herb und recht ungemütlich. „Damir Karakaš – Erinnerung an den Wald“ weiterlesen

Carmen Buttjer – „Levi“

„Die Welt hatte ihre Farbe verloren.“ 

Schlüsselkind, Sohn eines Anwalts, Halbwaise: All das ist Levi, elf Jahre alt. Als seine verstorbene Mutter Katharina beigesetzt werden soll, schnappt sich der Junge kurzerhand die Urne – und verschwindet mit ihr. Auf dem Dach des mehrstöckigen Hauses, in dem die Familie lebt, richtet er sich samt Zelt und Proviant ein. Carmen Buttjer hat mit ihrem Debüt „Levi“ ein wundervolles und berührendes Buch über Verlust und Trauer mit einem unvergesslichen Helden geschrieben. „Carmen Buttjer – „Levi““ weiterlesen

Backlist #8 – György Dragomán „Der weiße König“

„(…) ich solle zur Kenntnis nehmen, daß es am Krieg nie etwas Ehrliches gebe.“ 

Der Blick vom Westen in die Länder hinter dem Eisernen Vorhang ging in eine andere Welt. Es gab den Sozialismus, bei dem die Sowjetunion von der Schaltzentrale Moskau die Fäden fest in der Hand hielt. Es gab eine Plan- und Mangelwirtschaft. Die nicht der Ideologie Hörigen flohen, wenn sie konnten, oder wurden geächtet oder kamen hinter Gittern. Der Vater von Dszátá wird eines Tages von zwei fremden Männern abgeholt. Der Elfjährige weiß noch nicht, dass es Mitarbeiter der Securitate, des rumänischen Geheimdienstes, sind, die seinen Vater in ein Straflager bringen werden. Der ungarische Schriftsteller György Dragomán stellt ein Kind als Held in den Mittelpunkt seines 2012 erschienenen Romans „Der weiße König“ und erzählt das Geschehen aus der Sicht des Jungen. „Backlist #8 – György Dragomán „Der weiße König““ weiterlesen

Schuld – Pierre Lemaitre „Drei Tage und ein Leben“

„Die beiden Bilder passen nicht zusammen, man kann nicht zwölf Jahre alt und ein Mörder sein …“

Der Tatort: der Wald von Saint-Eustache, das Opfer: der kleine Rémi, der Täter:  der gerade mal zwölfjährige Antoine. Seine Tatwaffe: ein Stock.  Keine Angst, hier wird nicht alles verraten, wovon der Roman von Pierre Lemaitre „Drei Tage und ein Leben“ handelt. Denn dieser grausame wie tragische Akt der Gewalt ist schon auf Seite 23 zu lesen, das neue Werk des Franzosen kein Krimi und der Gewinner des renommierten Prix Goncourt ein meisterhafter Erzähler, der Überraschungen mag.     „Schuld – Pierre Lemaitre „Drei Tage und ein Leben““ weiterlesen

Druck – Per Petterson „Ist schon in Ordnung“

„Mein Körper ist auf eine andere Weise erschöpft als früher, es ist die Zeit, ich weiß.“

Es gibt Bücher, die erzählen nahezu flüsternd und unaufgeregt ihre Geschichte. Dann findet man Bücher, die tragische Schicksale und Geschehnisse fast schreiend in die Welt bringen. Per Pettersons Roman „Ist schon in Ordnung“ gelingt es, beides zu vereinen. Bekannt geworden ist der Norweger hierzulande mit seinem Roman „Pferde stehlen“. Nach und nach hat er auch in Deutschland eine wachsende Fan-Gemeinde erhalten, ist von Kritikern mit Lob bedacht worden. „Druck – Per Petterson „Ist schon in Ordnung““ weiterlesen

Dorf ohne Idylle – Szilárd Borbély „Die Mittellosen“

„Vater sagte, es gibt Zahlen, die man nicht teilen kann. Sie haben keinen anderen Teiler als die Eins und sich selbst. Seither versuche ich jede Zahl zu teilen. Ich mag die, die keinen Teiler haben. Die so sind wie in diesem Dorf wir. Aus den anderen herausragen.“

Ein Junge lebt in einem Dorf. Mit seinen Eltern, der älteren Schwester, einem jüngeren Bruder. Die Familie ist arm und wohnt in einem Erdhaus mit Lehmwänden etwas abseits des Ortes. Der Vater hat oft keine Arbeit und trinkt, die Mutter weiß manchmal nicht weiter und droht, sich das Leben zu nehmen. Eine Spirale der Gewalt setzt sich in Gang: Die Eltern schlagen die Kinder, die Kinder töten kleine Tiere. Auch der Junge, der von seinem Leben erzählt. „Dorf ohne Idylle – Szilárd Borbély „Die Mittellosen““ weiterlesen

Der Junge und das Mädchen – Anthony Doerr „Alles Licht, das wir nicht sehen“

„Es gibt nur Zufälle auf dieser Welt, Zufälle und die Physik.“

Mehr als eine Million verkaufte Exemplare in den USA, nominiert für den renommierten National Book Award. Gut ein Jahr stand der Amerikaner Anthony Doerr mit seinem neuesten Roman „All the Light We Cannot See“ auf der Bestseller-Liste der „New York Times“. Im April bekam der Amerikaner zudem den Pulitzer-Preis für Belletristik verliehen. In Deutschland ist die Resonanz auf „Alles Licht, das wir nicht sehen“ verhaltener. Dabei siedelt Doerr seinen neuesten Roman hierzulande an, besser gesagt: Ein Schauplatz ist Schulpforte, die einstige Napola Schulpforta.  „Der Junge und das Mädchen – Anthony Doerr „Alles Licht, das wir nicht sehen““ weiterlesen

Vater und Sohn – Jonas T. Bengtsson „Wie keiner sonst“

„Wir haben den Fernseher erfunden und schicken Menschen zum Mond. Wir stellen Schießpulver her und Kugeln. Aber wir haben völlig vergessen, was wir einmal konnten. Die Tiere können es noch. Du weiß doch, wie Vögel in Formationen fliegen. Hunderte von ihnen formen ein großes V am Himmel. Was glaubst du, wie sie das machen?“

Sie streifen durch die Stadt und das Land, leben am Rande der Gesellschaft. Vater und Sohn. Ihr Besitz ist auf ein paar Koffer verteilt, um schnell, wenn es nötig ist, das Weite und ein neues Zuhause zu suchen. Der Junge kennt es nicht anders. Trotzdem ist er glücklich. Auch ohne Schule, auch ohne Mutter und Freunde. Denn er hat alles, was er braucht. Vor allem seinen Vater, der zugleich bester Freund und Lehrer ist. Diese enge Vater-Sohn-Beziehung beschreibt Jonas T. Bengtsson in seinem Roman „Wie keiner sonst“ auf eindrückliche Weise. „Vater und Sohn – Jonas T. Bengtsson „Wie keiner sonst““ weiterlesen

Bild des Lebens – Donna Tartt "Der Distelfink"

„Aber ist es nicht immer das Unpassende, das, was nicht so recht funktioniert, was uns komischerweise am liebsten ist?“

Wenn die Welt um einen zusammenbricht, hält man sich am Unbekannten fest, weil das Bekannte nicht mehr existiert. Theo macht diese schmerzliche Erfahrung. Gemeinsam mit seiner Mutter besucht der 13-Jährige das New Yorker Metropolitan Museum of Art mit berühmten Kunstwerken der Malerei. Vor allem ein Bild hat es Theos Mutter angetan: die kleine Miniatur „Der Distelfink“ des holländischen Malers Carel Fabritius (1622-1654), eines der wenigen Gemälde, die von dem Künstler geblieben sind. Bei einer Explosion der Delfter Pulvermühle 1654 starb nicht nur Fabritius. Ein Großteil seiner Werke wurde bei dem Unglück vernichtet. Auch Theo erlebt eine Explosion – mehr als drei Jahrhunderte später: Eine Bombe geht im Museum in die Luft. Seine Mutter stirbt, mit dem Ölgemälde unter der Jacke flieht Theo aus dem Museum. „Bild des Lebens – Donna Tartt "Der Distelfink"“ weiterlesen