Eeva-Liisa Manner – „Das Mädchen auf der Himmelsbrücke“

„Sie stand unwiederbringlich außerhalb der Dinge (…).“

Kinderperspektiven verleihen einem Buch einen besonderen Charakter. Der Blick eines jungen Menschen unterscheidet sich sehr von dem eines Erwachsenen. Kinder sehen die Welt mit anderen Augen – noch frei von Erfahrungen und dem Wissen um gesellschaftliche Normen. In Eeva-Liisa Manners (1921-1995) erstem Roman kommt zu der speziellen Perspektive noch ein anderes, sehr entscheidendes Merkmal hinzu. Leena, die Heldin des Buches, ist ein sehr besonderes Kind. Dass der Guggolz Verlag, schon seit einigen Jahren bekannt für Wiederentdeckungen aus der nordischen und osteuropäischen Literatur, nun auch Manners bereits 1951 erschienenes Werk wieder ins Bewusstsein bringt und nunmehr in deutscher Übersetzung zugänglich macht, ist ein großes Geschenk. „Eeva-Liisa Manner – „Das Mädchen auf der Himmelsbrücke““ weiterlesen

Malin C. M. Rønning – „Skabelon“

„Nachts gehört der Wald nur sich selbst.“ 

Der Wald bedeutet für Urd eine ganze Welt. Er ist das Zuhause ihrer Familie, in der das Leben allerdings alles andere als sorgenlos, idyllisch und heil zu sein scheint. Mit ihren sieben Geschwistern ist sie meist auf sich allein gestellt. Liebe und Zuneigung erfahren sie von ihren Eltern kaum. So zieht sich das Mädchen zurück in die reiche Natur, in der sie sich wohl, sicher und aufgehoben fühlt. Mit ihrem teils düsteren Debüt-Roman „Skabelon“ überzeugte die Norwegerin Malin C. M. Rønning in ihrem Heimatland sowohl Leser als auch Kritiker.

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Karl Ove Knausgård – „Aus der Welt“

„All diese Bilder in mir.“

Dass Literatur immer auch Gedächtnis ist, dass ein Werk noch Jahre nach seinem Erscheinen erneut in den Fokus rücken und bedacht werden kann, beweist auch Karl Ove Knausgård, der berühmte weil auch preisgekrönte Norweger, dessen Bücher in zahlreichen Sprachen übersetzt wurde; allen voran sein sechsbändiges autofiktionales Mammut-Schreibprojekt „Min kamp“. 22 Jahre nach dem Erscheinen seines umfangreichen Debüts „Ute av verden“ kann dieser Erstling unter dem Titel „Aus der Welt“ auch in deutscher Übertragung gelesen und vor allem debattiert werden.

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Mut – Frida Nilsson „Siri und die Eismeerpiraten“

„Die guten Dinge hinterlassen gute Spuren … und die schlimmen Dinge hinterlassen schlimme Spuren.“

Das Eismeer: eine weiße weite unwirtliche Welt. Stolze Schiffe segeln von Hafen zu Hafen, von kleinen Inseln zu winzigen Schären. Fische und Meerjungfrauen tummeln sich im Wasser. Ja, auch stolze Meerjungfrauen. Die Geschöpfe sind nicht nur Seemannsgarn. Es gibt sie wirklich. Auf ihrer Reise von ihrer Heimatinsel Blautum nach Senkum lernt Siri ein solch merkwürdiges Wesen kennen. Es ist nur eine von vielen ihrer besonderen Begegnungen auf ihrer ungewöhnlichen und gefährlichen Reise. Siri will ihre kleine Schwester Miki befreien, die von den gefürchteten Eismeerpiraten rund um Kapitän Weißhaupt gekidnappt wurde.  In ihrem neuen Kinderbuch erzählt Frida Nilsson diese abenteuerliche Geschichte. „Mut – Frida Nilsson „Siri und die Eismeerpiraten““ weiterlesen

Sumpf – Larry Brown „Fay“

„Manchmal hatte er das Gefühl, als hätte er zwei Drittel seines Lebens hinterm Lenkrad verbracht, auf immer wieder denselben Straßen.“

Die Südstaaten der USA haben ihr eigenes Gesicht – geprägt von ihrer besonderen Geschichte als Teil der US-amerikanischen Historie, geprägt von ihren Gegebenheiten aufgrund der speziellen geografischen Lage. Der amerikanische Autor Larry Brown hat den Süden seines Landes in das Zentrum seiner Werke gesetzt. Vielen wird er hierzulande kaum bekannt sein, denn erst mit der deutschen Übersetzung seines vierten Romans „Fay“ wird er wohl einem breiteren Publikum vertraut werden. Den möglichen Erfolg wird Brown jedoch nicht erleben können: Er starb 2004 mit gerade mal 53 Jahren an den Folgen eines Herzinfarktes. „Sumpf – Larry Brown „Fay““ weiterlesen

Überleben – Anthony Marra „Die niedrigen Himmel“

„Unter der Wolkendecke sahen ferne Städte und Dörfer winzig aus. Angreifer wie Angegriffene klammerten sich an ihre Handvoll Erde, aber am Ende lebte die Erde länger als die Hände, die sie umschlossen.“

Nahezu abseits unserer Gedankenwelt gab es einen Krieg, dem wenig später ein weiterer folgte. Bis heute erfährt Tschetschenien wenig Aufmerksamkeit – wie wohl eine Vielzahl jener Staaten, die nach dem Zerfall der Sowjetunion ihre Selbstständigkeit errungen haben.  Die Republik im Nordkaukasus wurde gleich zweimal von Krieg und Elend (1994 – 1996/1999 – 2009) getroffen. In seinem Debüt-Roman „Die niedrigen Himmel“ erzählt der Amerikaner Anthony Marra vom Leid der Bevölkerung und ihrem Kampf ums Überleben.  „Überleben – Anthony Marra „Die niedrigen Himmel““ weiterlesen

Gezeichnet – György Dragomán „Der Scheiterhaufen“

„Die schmerzvollsten Geschichten könne man nur so erzählen, dass der, der zuhört, das Gefühl hat, dass sie ihm selbst widerfahren, dass es seine eigenen Geschichten sind.“

Den Menschen zeichnen Erfahrungen und Erlebnisse, Gedanken und Gefühle und nicht minder politische und gesellschaftliche Ereignisse, die später zu Geschichte werden. Wir sind immer das, was wir einst waren. Ein Teil von allem. Kinder und Jugendliche wie Emma machen ebenfalls diese Erfahrung, wenn sie auch erst später wirklich bewusst wird. In Emmas Heimatland Rumänien hat der Sozialismus sein Ende gefunden. Auf dem Hof ihres Internates werden die Überreste des diktatorischen Regimes unter Nicolae Ceaușescu auf einem großen Scheiterhaufen verbrannt. Eine neue Zeit bricht an: nicht nur gesellschaftlich, sondern für Emma auch privat. Ihre ihr bis dato unbekannte Großmutter holt sie aus dem Internat. Fortan soll das Mädchen, das beide Eltern durch einen Autounfall verloren hat, bei ihr leben.  „Gezeichnet – György Dragomán „Der Scheiterhaufen““ weiterlesen

Trotzkopf – Jacqueline Kelly „Calpurnias evolutionäre Entdeckungen“

„Wie flüchtig sind die Wünsche und Anstrengungen der Menschen! Wie kurz ist seine Zeit! Wie dürftig werden mithin seine Erzeugnisse denen gegenüber sein, die die Natur anhäuft!“ Charles Darwin „Über die Entstehung der Arten“

Für manche Leseerfahrungen braucht es etwas Glück. Das Glück oder auch der Zufall, ein besonderes Buch zu entdecken. Dieses hat sich vor mir zwischen anderen Jugendbüchern in einem Regal einer meiner Lieblingsbuchhandlungen regelrecht versteckt. Hellgrün ist bekanntlich keine Farbe, die einem ins Auge springt. Und auf dem Cover sind auch keine Drachen, Zauberer oder Vampire zu sehen. Vielmehr zeigt es ein Gewimmel aus Pflanzen und Tieren, wie Schmetterlinge und Vögel. Doch „Calpurnias evolutionäre Entdeckungen“ von Jacqueline Kelly hat es trotzdem auf den Stapel gekaufter Bücher geschafft. Welch ein Glück! „Trotzkopf – Jacqueline Kelly „Calpurnias evolutionäre Entdeckungen““ weiterlesen

Der Junge und das Mädchen – Anthony Doerr „Alles Licht, das wir nicht sehen“

„Es gibt nur Zufälle auf dieser Welt, Zufälle und die Physik.“

Mehr als eine Million verkaufte Exemplare in den USA, nominiert für den renommierten National Book Award. Gut ein Jahr stand der Amerikaner Anthony Doerr mit seinem neuesten Roman „All the Light We Cannot See“ auf der Bestseller-Liste der „New York Times“. Im April bekam der Amerikaner zudem den Pulitzer-Preis für Belletristik verliehen. In Deutschland ist die Resonanz auf „Alles Licht, das wir nicht sehen“ verhaltener. Dabei siedelt Doerr seinen neuesten Roman hierzulande an, besser gesagt: Ein Schauplatz ist Schulpforte, die einstige Napola Schulpforta.  „Der Junge und das Mädchen – Anthony Doerr „Alles Licht, das wir nicht sehen““ weiterlesen

Zurück nach Fetknoppen – Leena Parkkinen „Die alte Dame, die ihren Hut nahm und untertauchte“

„Als junger Mensch bildete man sich ein, dass einem irgendwie die Zeit davonlaufe. Im Alter verstand man erst, dass außer Zeit nichts anderes mehr übrig war.“ 

Es gibt viele Orte, die bekannt dafür sind, die besondere Begegnung zweier Menschen zu fördern: der Supermarkt, eine Bar, ein Park, vielleicht auch ein Fußballspiel in einem Stadion. Im Fall von Karen und Azar ist es eine schnöde Tankstelle. Hier sehen sich die alte Dame und das 17-jährige Mädchen zum ersten Mal, wobei man an dieser Stelle unbedingt erwähnen sollte, dass Azar einen Überfall begehen will und Karen das Opfer ist. Doch die „kleine Gangsterbraut“ und ihr nicht gerade pfiffiger Mitganove haben die Rechnung ohne die Cleverness der alten und ebenfalls bewaffneten Frau gemacht. Karen verfrachtet die zudem hochschwangere Azar in ihr Auto, und zusammen gehen sie auf eine besondere Reise. „Zurück nach Fetknoppen – Leena Parkkinen „Die alte Dame, die ihren Hut nahm und untertauchte““ weiterlesen