Dana Vowinckel – „Gewässer im Ziplock“

„Würde es immer so weitergehen, dass eigentlich jede Erinnerung wie ein Film aus einem anderen Leben war, das sie niemals jemandem komplett offenbaren könnte?“

Literatur gewinnt ihren Stellenwert noch immer durch ihren Bezug zur Realität und in der Auseinandersetzung mit ihr. Wenn die Realität allerdings erschreckende Züge annimmt, sie sich in eine unvorhergesehene dramatische Richtung entwickelt, kann aus der Lektüre eine verstörende Erfahrung werden. Ende August erschien der Debütroman „Gewässer im Ziplock“ der Berliner Autorin Dana Vowinckel. Am 7. Oktober griff die palästinensische Terrororganisation Hamas Israel an. Und ich bin mittendrin in diesem Buch, das von einer jüdischen Familie, vom jüdischen Urschmerz infolge des jahrhundertelangen wie aktuellen Antisemitismus und des Grauens der Shoa sowie vom schwelenden Konflikt im Nahen Osten erzählt. „Dana Vowinckel – „Gewässer im Ziplock““ weiterlesen

Daan Heerma van Voss „Abels letzter Krieg“

„Die Welt war von einer nie dagewesenen Schwere.“

Manche meinen, die Atmosphäre in einigen Ländern Europas erinnert an die einst dunkle Zeit und die Vorboten dieses Unheils. Rassismus, Antisemitismus und Homophobie treten offen und vermehrt zutage. In seinem neuen Roman zieht der Niederländer Daan Heerma van Voss ebenfalls Parallelen zwischen der Gegenwart und der einstigen Geschichte und verkündet mit Hilfe des markanten wie sympathisch wirkenden Romanhelden zwei wichtige Botschaften. „Daan Heerma van Voss „Abels letzter Krieg““ weiterlesen

Stories – Boris Fishman „Der Biograf von Brooklyn“

„Es hat diese Stille. Diese schreckliche russische Stille, die die Amerikaner nicht begreifen. Sie machen ständig Lärm, weil sie vergessen wollen, dass das Leben irgendwann zu Ende ist. Wir vergessen das nie, deswegen haben wir diese Stille, auch wenn wir schreien und lachen.“

Er hat seine jüdische und osteuropäische Herkunft in die entlegensten Bereiche seines Bewusstseins verbannt. Die Familie, die ihn an diese erinnern könnte, besucht er nur noch selten. New York bietet bekanntlich reichlich Platz, um die Distanz zwischen zwei Menschen zu vergrößern. Der Journalist Slava Gelman will leben wie ein Amerikaner, schreiben wie ein Amerikaner. Doch dann stirbt seine geliebte Großmutter Sofia und ein Brief der Konferenz für jüdische Schadenersatzansprüche gegen Deutschland bringt Turbulenzen in sein eher beschauliches Dasein, das Boris Fishman in seinem Debütroman „Der Biograf von Brooklyn“ erzählt.  „Stories – Boris Fishman „Der Biograf von Brooklyn““ weiterlesen

Rückkehr ohne Vater – Marceline Loridan-Ivens „Und du bist nicht zurückgekommen“

„Wie etwas übermitteln, was wir uns selbst kaum erklären können.“

Wer die Hölle überlebt, kehrt nicht zurück ins Leben. Bis heute und sicherlich über die folgenden Generationen hinaus wird der Holocaust eine schmerzende Wunde sein, die nicht verheilen wird und kann. Unzählige literarische Werke widmen sich dieser Zeit, die viele vergessen wollen, gar verleugnen, doch einige niemals begreifen werden ob der Ungeheuerlichkeit und des Ausmaßes dieses Verbrechens. Mit „Und du bist nicht zurückgekommen“ hat die französische Schauspielerin und Dokumentarfilmerin Marceline Loridan-Ivens ein persönliches Erinnerungsbuch geschrieben, das schmal von Umfang und Gestalt ist, jedoch eine außerordentliche Wirkung hat. Es ist ein Brief, den sie an ihren Vater schreibt – 70 Jahre nachdem er in Auschwitz ermordet wurde, während sie das Grauen überlebt hat. „Rückkehr ohne Vater – Marceline Loridan-Ivens „Und du bist nicht zurückgekommen““ weiterlesen

Schmerzvolle Erinnerungen – Elliot Perlman „Tonspuren“

„Sie wissen nie, welche Verbindungen zwischen Dingen, Menschen, Orten und Ideen bestehen. Aber es gibt  Verbindungen. Sie wissen nur nicht wo. Die meisten wissen nicht mal, wo sie suchen sollten, oder was daran überhaupt interessant sein könnte. Wer schaut auch nur hin? Wer hat Zeit, zu schauen? Wessen Angelegenheit ist das eigentlich, hinzuschauen? Unsere.“

Der eine ist ein Erzähler, der andere sein geduldiger Zuhörer. Henry Mandelbrot ist Patient einer New Yorker Krebsklinik. Lamont Williams arbeitet für den Gebäudedienst des Krankenhauses. Der eine ist polnischer Jude und Überlebender des Vernichtungslagers Auschwitz, der andere ein Afroamerikaner, der nach einer mehrjährigen Haftstrafe mit dem Klinik-Job eine zweite Chance erhalten hat. Henry erzählt Lamont vom Grauen in Auschwitz, der so zum Bewahrer der Geschichte wird. Erinnerungen sind das große Thema in Elliot Perlmans Roman „Tonspuren“, in dem Menschen erleben, wie Geschichte ihre Gegenwart und Zukunft beeinflusst. „Schmerzvolle Erinnerungen – Elliot Perlman „Tonspuren““ weiterlesen

Dorf ohne Idylle – Szilárd Borbély „Die Mittellosen“

„Vater sagte, es gibt Zahlen, die man nicht teilen kann. Sie haben keinen anderen Teiler als die Eins und sich selbst. Seither versuche ich jede Zahl zu teilen. Ich mag die, die keinen Teiler haben. Die so sind wie in diesem Dorf wir. Aus den anderen herausragen.“

Ein Junge lebt in einem Dorf. Mit seinen Eltern, der älteren Schwester, einem jüngeren Bruder. Die Familie ist arm und wohnt in einem Erdhaus mit Lehmwänden etwas abseits des Ortes. Der Vater hat oft keine Arbeit und trinkt, die Mutter weiß manchmal nicht weiter und droht, sich das Leben zu nehmen. Eine Spirale der Gewalt setzt sich in Gang: Die Eltern schlagen die Kinder, die Kinder töten kleine Tiere. Auch der Junge, der von seinem Leben erzählt. „Dorf ohne Idylle – Szilárd Borbély „Die Mittellosen““ weiterlesen