Saša Stanišić – „Herkunft“

„Jedes Zuhause ist ein Zufälliges.“

Wo, mit wem oder was beginnen, wenn diese Geschichte aus einem breiten Strom vieler Erinnerungen gespeist wird und sie viele Protagonisten kennt? Vielleicht mit etwas Mächtigem, das die Zeiten überdauert hat, das so bedeutsam ist, dass es in einem Brief an die Einwanderungsbehörde unbedingt erwähnt werden sollte. Das können nur Drachen sein, die das Leben des in Jugoslawien geborenen Jungen genauso geprägt haben wie das des späteren deutschsprachigen Schriftstellers, dessen Heimatland es auf der Landkarte nicht mehr gibt. Das mystische Wesen findet sich denn auch auf dem sonst sehr schlichten Umschlag des autobiografischen Romans aus der Feder jenes Autors:  Saša Stanišić hat „Herkunft“ geschrieben – ein auf den ersten Blick simpler Titel, der allerdings eine komplexe Bedeutung besitzt. Das Werk ist für den Deutschen Buchpreis nominiert und mein „Patenbuch“ als eine von insgesamt 20 Buchpreis-Bloggerinnen und -Bloggern. „Saša Stanišić – „Herkunft““ weiterlesen

Trauma – Juli Zeh „Neujahr“

„Da war etwas, aus dem es kalt heraufwehte.“

Lanzarote: Die trockene und karge Vulkaninsel im Atlantik mit ihren schwarzen Stränden und Bergmassiven ist Ziel vieler Touristen. Henning, seine Frau Theresa und die beiden gemeinsamen Kinder Jonas und Bibbi zieht es ebenfalls auf das spanische Eiland. Die Familie verbringt die Tage des Jahreswechsels auf der kanarischen Insel. Doch für den jungen Mann wird es alles andere als ein erholsamer Urlaub, weil diese Reise in die Ferne nicht nur die Disharmonie des Paares offenlegt. Er wird während einer Radtour hinauf in die Berge konfrontiert mit einer düsteren Episode aus seiner Kindheit, an die er sich bis zu jenem Tag nicht erinnert.  „Trauma – Juli Zeh „Neujahr““ weiterlesen

Keine Gnade – Rebecca Hunt „Everland“

„Die Antarktis kennt gegenüber dem menschlichen Körper keine Gnade (…).“

Es sind die Jahre 1911 und 1912, als ein besonderer Wettlauf die Schlagzeilen beherrscht: Robert Falcon Scott und der Roald Amundsen wollen als erste den Südpol in der Antarktis erreichen. Der Norweger geht als Sieger hervor. Am 14. Dezember 1911 pflanzt er die Flagge seines Heimatlandes in den südlichsten Punkt der Erde. Sein Rivale und zwei seiner Männer sollen den Einsatz im ewigen Eis mit dem Leben bezahlen. Im April 1913 setzt der neue Roman von Rebecca Hunt, der den Leser in die Antarktis führt, ein. Eine Expedition soll die Insel Everland erkunden, die dem Buch auch seinen Namen gibt. Knapp 100 Jahre später machen sich Wissenschaftler erneut auf den Weg dorthin.  „Keine Gnade – Rebecca Hunt „Everland““ weiterlesen

Familiengeheimnis – Paul Baeten Gronda „Straus Park“

„Seit drei Generationen hatte seine Familie diese Fassade im Blick. Sauber, beständig, leblos.“ 

Amerika wurde über Jahrhunderte für unzählige jüdische Familien zu einer zweiten Heimat. Sei es, um der Armut zu entfliehen, sei es, um den Pogromen und Verfolgungen zu entkommen. Heute leben schätzungsweise acht Millionen Juden in den USA. Amos Grossmanns Großeltern Charlotte und Markus gelingt es, untergetaucht in Amsterdam, nahezu unbeschadet das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg zu überstehen und am Ende des Krieges in die USA zu emigrieren. Was der Enkel der vermögenden Familie allerdings zuerst nicht weiß, ist, dass ihre Flucht noch einen ganz anderen Grund hat.       „Familiengeheimnis – Paul Baeten Gronda „Straus Park““ weiterlesen

Raubbau – Annie Proulx „Aus hartem Holz“

„Einst hatten endlose Wälder den Horizont gefüllt. Nun gab es Dutzende Straßen, und der Wald war ein ferner Schatten.“ 

Zwischen zwei Ozeanen ein Meer aus Bäumen: So sollte man sich Nordamerika vorstellen – bevor der Kontinent nach der Entdeckung von Christoph Kolumbus besiedelt wurde. Riesige Wälder wurden in kürzester Zeit vernichtet – wegen des Holzes und für Grund und Boden der Siedler. Welchen Tribut das Land zwischen Atlantik und Pazifik sowie die Ureinwohner zahlen mussten, erzählt die kanadisch-US-amerikanische Autorin Annie Proulx in ihrem neuen Roman „Aus hartem Holz“„Raubbau – Annie Proulx „Aus hartem Holz““ weiterlesen

Abgründe – Smith Henderson „Montana“

„Nur noch Jäger und kaum Gejagte. Austeiler. Keine Kümmerer.“ 

Montana könnte mit Blick auf die geringe Bevölkerungsdichte als das Mecklenburg-Vorpommern der Vereinigten Staaten gelten. Auf einer Fläche nahezu so groß wie Deutschland leben nicht mehr als eine Million Menschen. In dem Bundesstaat, im Norden der USA und an der Grenze zu Kanada gelegen, gibt es also sehr viel Platz und sehr viel Ruhe. Womöglich allzu viel davon. Die Wege zwischen den Menschen sind weit, jeder kocht unbeobachtet vom Rest der Welt sein eigenes Süppchen. Sozialarbeiter Pete Snow hat alle Hände voll zu tun, Kinder aus Problemfamilien in Sicherheit zu bringen und aus der Spirale aus Drogen, Missbrauch und Gewalt zu holen.  „Abgründe – Smith Henderson „Montana““ weiterlesen

Unterwegs – Norbert Hummelt „Pans Stunde“

„u. ich war verloren sofern nicht etwas sich am weg begab / ich hörte weinen spürte meine knochen drehte mich um / zu dir u. merkte daß noch das licht an war u. ich alleine lag.“ (radierung)

Es war ein Abend, geschaffen für Lyrik. Der Himmel konnte sich nicht entscheiden, zwischen einem tiefen Blau und einer Schar dickbäuchiger Regenwolken. Darunter zog ein Schwarm Schwalben seine Bahnen. Der Blick der Zuhörer ging nach draußen, während drinnen, im Saal des Naumburger Nietzsche-Dokumentationszentrums, Norbert Hummelt seine Gedichte las. Texte älteren Datums sowie Werke aus seinem 2011 erschienenen Band „Pans Stunde“. Obwohl die Zuhörer auf ihren Stühlen Platz genommen hatten, waren sie in einer besonderen Weise in Bewegung. In einer Vielzahl der Gedichte aus dem aktuellen Band ist das lyrische Ich auf Reisen.  „Unterwegs – Norbert Hummelt „Pans Stunde““ weiterlesen