Backlist #7 – John Wray „Die rechte Hand des Schlafes“

„Wie konnte das alles passieren?“

Obwohl ich allgemein sehr viel und sehr oft Literatur aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder Bücher über jene Zeit lese, ist es Zufall, dass ich für diese Reihe „Backlist lesen“ nach Robert Seethealers Werk „Der Trafikant“ erneut zu einem Roman gegriffen habe, der sich mit dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich beschäftigt (ich werde in den kommenden Folgen wieder für etwas Abwechslung sorgen). Doch mit John Wray und seinem Debüt „Die rechte Hand des Schlafs“ verhält es sich dann doch etwas anders, als es auf den ersten Blick erscheint. Denn Wray ist Amerikaner. Die Wahl des Sujet ist sicherlich dem Umstand geschuldet, dass seine Mutter aus Österreich stammt. Und anstatt wie Seethaler einen Jugendlichen in das Zentrum des Geschehens zu rücken, erzählt er von einem jungen Mann, der bereits Schlimmes erlebt hat.

Nach Krieg Zwangsarbeit

Denn Oskar Voxlauer kehrt 1938 aus Russland zurück. Mit nicht einmal 17 Jahren wurde er an die italienische Front geschickt. Als Zeuge von Gewalt und Vernichtung desertiert er. Mit einer Gruppe ebenfalls fahnenflüchtiger Soldaten und später allein zieht es ihn nach Osten. Obwohl aus bürgerlichem Elternhaus stammend – der Vater ist Komponist, die Mutter Opernsängerin –  sympathisiert Voxlauer mit den Ideen des Kommunismus. In der Ukraine lernt er die um einige Jahre ältere Anna kennen. Die beiden werden ein Paar, betreiben einen eigenen Hof, bis sie gezwungen werden, für eine Sowchose zu malochen. Es sind die Jahre, als Stalin an die Macht kommt und nach der Kollektivierung der Landwirtschaft Millionen Bauern mittellos werden und verhungern. Nach dem frühen Tod von Anna kehrt Voxlauer nach mehr als 20 Jahren in seine Heimat zurück.

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Doch in Österreich hat sich viel verändert. Die Stimmung im Land, das kurz vor dem Anschluss an das Dritte Reich steht, ist eine andere geworden. Die Nazis sind im Aufwind. Braunhemden, Reichsflaggen und Hakenkreuze prägen das Ortsbild der Kleinstadt Niessen, in der die  Mutter des Rückkehrers lebt. Voxlauer selbst zieht sich in die Einsamkeit der Berge zurück, wird Wildhüter für Ryslavy, dem Besitzer eines Gasthofes und Freund der Familie, und sorgt sich um dessen Forellenteiche. Mit der Zeit wird die Atmosphäre bedrohlicher und beklemmender.  Für Ryslavy, der Jude ist, für eine freigeistige Kommune im Ort, für Voxlauer, dessen Nähe zum Kommunismus bekannt ist und der eine intime Beziehung zu Else, der Cousine des jungen SS-Funktionärs Kurt Bauer, pflegt.

„Die rechte Hand des Schlafes“ ist kein beschaulicher und seichter Heimat- und Alpenroman, auch wenn die eindrucksvolle Landschaft dem Roman eine besondere Kulisse bietet. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Dieses Debüt zeichnet eine besondere Spannung aus, die nicht nur von der Handlung getragen wird. Auch die kluge Konstruktion des Romans trägt dazu bei. Dabei wird der auktorial erzählte Hauptstrang des Geschehens von Rückblicken unterbrochen, die sowohl Voxlauers Erlebnisse im Krieg und im Osten als auch Bauers Aufstieg nach dem Putsch und der Ermordung des Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß in den Mittelpunkt stellen – jeweils aus der Ich-Perspektive geschildert. Dieser Blick in die Vergangenheit beider Männer, die die Rolle von Gegenspielern einnehmen, offenbart, dass sich beide einst schuldig gemacht haben. Auch die oftmals doppeldeutigen Dialoge lassen dieses Debüt zu einem besonderen Erstling machen.

„Noch Jahrzehnte später, gegen Ende seines eigenen Lebens, sollte er an diese beiden Bilder denken: wie er, umgeben von Husaren dastand und auf den Deserteur im Schnee hinabsah und wie er am Fußende des Betts kauerte, während Kurt seine letzten bewussten Momente durchlitt, und ihm war dann jedes Mal, als wäre zwischen diesen beiden Fixpunkten ein Draht gespannt, auf dem alle Ereignisse seines Lebens während dieser Zeit wie Perlen auf einer Schnur in einer exakten Ordnung aufgereiht waren.“

Dass Wray, 1971 in Washington als John Henderson geboren, mittlerweile als Erzähler und Erbe großer amerikanischer Autoren hoch gehandelt wird, hat wohl bereits seinen Ursprung in seinem 2002 erschienenen Debüt, für das er 2001 den Nachwuchsförderpreis Whiting Award bekommen, aber gefühlt hierzulande leider nicht ganz so viel Aufmerksamkeit erhalten hat wie sein späterer Roman „Das Geheimnis der verlorenen Zeit“ (Rowohlt), erschienen 2016. Ein Jahr später nahm der New Yorker am Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt teil, wo er mit dem Preis des Deutschlandfunks geehrt wurde. „Die rechte Hand des Schlafes“ ist ein eindrucksvoller Roman, der die verschiedenen Blickwinkel und Haltungen der Menschen jener Zeit herausstellt – von jenen, die agierten und im Nationalsozialismus Karriere machten, über die, die passiv blieben, bis zu jenen, die zu Opfern wurden. Zudem erzählt er davon, wie der Mensch zum Spielball der großen Politik wird und nicht wirklich eine Möglichkeit hat, ein davon unabhängiges Leben zu führen.

Eine weitere Besprechung gibt es beim „Kaffeehaussitzer“.

In der Reihe „Backlist“ werden Romane verschiedenster Verlage vorgestellt, die bereits vor einigen Jahren erschienen und womöglich bereits leicht in Vergessenheit geraten sind, doch die es wert sind, dass an sie erinnert wird. Bisher in dieser Reihe veröffentlichte Besprechungen gibt es zu

Carmen Laforet „Nada“

Davide Longo „Der aufrechte Mann“,

Per Petterson „Nicht mit mir“

Agota Kristof „Das große Heft“

Michela Murgia „Accabadora“

Robert Seethaler „Der Trafikant“


John Wray: „Die rechte Hand des Schlafes“, erschienen als Hardcover im Berlin Verlag, als Taschenbuch im Rowohlt Verlag

Foto: pixabay 

17 Kommentare zu „Backlist #7 – John Wray „Die rechte Hand des Schlafes“

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